Ein Interview mit Dr. Matthias Hudecek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozial-, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie, und Professorin Dr. Eva Lermer, bis 2019 ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin am Regensburger Lehrstuhl, inwzischen Professorin für Wirtschaftspsychologie (Schwerpunkt Personal und Organisation) an der Hochschule Ansbach.
Herr Dr. Hudecek, Frau Professorin Lermer, Sie sind Ko-Autor bzw. -Autorin einer internationalen Studie, an der über 200 Wissenschaftler:innen aus 67 L?ndern beteiligt waren. Die Zahlen deuten bereits an, dass es sich bei dem Studieninhalt um etwas handeln muss, was uns alle angeht – es geht um Corona?
Das stimmt. Die Covid-19 Pandemie hat ein globales Ausma? und tangiert im Grunde s?mtliche Lebensbereiche. Weltweit haben Regierungen Ma?nahmen ergriffen, um bei der Bev?lkerung Verhaltens?nderungen zu bewirken, mit dem Ziel, sie zu schützen. Insbesondere in den ersten zw?lf Monaten nach Ausbruch der Pandemie, einer Zeit, in der noch keine Impfstoffe zur Verfügung standen, war das Befolgen der Empfehlungen und Anweisungen der Regierungen, wie etwa das Tragen von Masken an bestimmten Orten oder die Einschr?nkung von physischen Kontakten essenziell notwendig.
Vor dem Hintergrund dieser au?ergew?hnlichen Situation hat sich ein internationales Team an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum Ziel gesetzt, die psychologischen Faktoren von Einstellungen und Verhaltensintentionen im Zusammenhang mit Covid-19 zu untersuchen und besser zu verstehen. Im Fokus stand dabei insbesondere die Frage, in welchem Ma?e die jeweiligen Bürgerinnen und Bürger die Vorgaben seitens der lokalen Regierungen, physische Kontakte einzuschr?nken, Hygienevorgaben einzuhalten und politische Ma?nahmen zu unterstützen, befolgten und was die Akzeptanz der neuen Ma?nahmen besonders f?rdert. Letztlich waren an dem Projekt über 250 Forscherinnen und Forscher beteiligt und haben Daten aus 67 L?ndern gesammelt und ausgewertet.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Ein zentrales Ergebnis ist, dass nationale Identifikation der st?rkste positive Pr?diktor für die Unterstützung von Ma?nahmen ist, die der ?ffentlichen Gesundheit dienlich sind. TeilnehmerInnen, die eine hoch ausgepr?gte nationale Identifikation angeben, sind am meisten bereit, sich an schützende Verhaltensvorgaben zu halten und den politischen Empfehlungen zu folgen.
Wie würden Sie den in der Studie verwendeten Begriff ?national identification“ oder auf Deutsch ?nationale Identifikation“ umschreiben? Es geht ja ausdrücklich nicht um hierzulande eher negativ konnotierte Begriffe wie Nationalstolz oder Nationalismus?
Genau, das Konstrukt ?nationale Identifikation“ meint nicht Nationalismus, kollektiven Narzissmus, nationale ?berlegenheitsgefühle oder nationalistische Ideologien. Vielmehr beschreibt nationale Identifikation den Grad, zu dem sich Bürgerinnen und Bürger mit der eigenen Nation identifizieren k?nnen. Das ist also etwas positives. In unserer Studie hat sich weltweit gezeigt, dass Personen, die hier h?here Werte angeben, die gesundheitspolitischen Vorgaben st?rker unterstützen. Best?tigt werden diese Ergebnisse mittels der Daten einer zweiten Studie. Hierzu wurden die Daten zur nationalen Identifikation aus dem ?World Values Survey (externer Link, ?ffnet neues Fenster)“ mit von Google erhobenen Mobilit?tsdaten aus dem Frühjahr 2020 verglichen. Das Ergebnis: In L?ndern, in denen die durchschnittliche nationale Identifikation h?her ausgepr?gt ist, reduzierten die Bürgerinnen und Bürger ihre Mobilit?t st?rker.
Es klingt erst mal wie ein Widerspruch: Dass ?nationale Identifikation“ dabei helfen kann, eine globale Pandemie in Schach zu halten.
Wir denken, dass dies viel mit dem intuitiven Verst?ndnis des Begriffs in Deutschland zu tun hat. Tats?chlich beschreibt das Konstrukt ja weder nationalistisches Denken noch ?berzeugungen, dass das eigene Land in irgendeiner Form überlegen ist, sondern zielt vielmehr darauf ab, wie stark man sich mit dem eigenen Land identifiziert. Aus dieser Perspektive ergeben die Ergebnisse dann durchaus ein stimmiges Bild. Wenn man sich als Person st?rker mit dem Land verbunden fühlt, in dem man lebt, ist es konsequent, dass man auch eher bereit ist sich auf eine Weise zu verhalten, die der Gesellschaft dienlich ist – auch wenn dies mit individuellen Einschr?nkungen wie der Reduktion von Kontakten verbunden ist.
Wie haben Sie den Grad der ?nationalen Identifikation“ ihrer Probanden gemessen?
Die Messung erfolgte mittels zweier Fragen, die aus etablierten Instrumenten entnommen wurden. Auch die anderen Fragen wurden s?mtlich aus fundierten Messverfahren übernommen. Die Teams der einzelnen L?nder haben die Fragen dann in die jeweilige Landessprache übersetzt, falls hierfür noch keine Version vorlag.
Was k?nnen wir aus diesen Studienergebnissen lernen?
Grunds?tzlich tragen die Erkenntnisse dieser Untersuchung dazu bei, ein besseres Verst?ndnis der Pandemie-Situation zu entwickeln und k?nnen dabei helfen, zukünftige Schutzma?nahmen orientiert an psychologischen Erkenntnissen zu gestalten und damit zu optimieren. Die Ergebnisse dieser Studie verdeutlichen dabei nochmal die Bedeutung des Zusammengeh?rigkeitsgefühls.
Wer wurde für die Studie befragt und wie haben Sie Ihre Probanden ausgew?hlt?
Für die Studie wurden Daten von fast 50.000 Personen aus 67 L?ndern erhoben. Die Befragung erfolgte mittels eines Online-Fragebogens, wobei für jedes Land bei den befragten Personen auf eine repr?sentative Verteilung hinsichtlich Alter und Geschlecht geachtet wurde. Neben der globalen Perspektive der Studie ist dieser Faktor der Repr?sentativit?t besonders hervorzuheben, weil dadurch die Aussagekraft der Ergebnisse nochmals gesteigert wird. Gerade in der Psychologie wird bei Online-Studien h?ufig mit Gelegenheitsstichproben gearbeitet, deren Ergebnisse nur bedingt verallgemeinerbar für die Bev?lkerung sind, da beispielsweise oftmals Studierende befragt werden. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网es Problem gibt es bei der vorliegenden Untersuchung folglich nicht.
In welchem Zeitraum wurden die Ergebnisse erhoben bzw. für welchen Zeitraum sind die Ergebnisse aussagekr?ftig? Und um welche Gesundheitsma?nahmen geht es, Hygienema?nahmen, Kontaktbeschr?nkungen oder auch umstrittene Ma?nahmen wie Lockdowns, Ausgangssperren oder Impfangebote?
Die Befragung fand im Zeitraum von April bis Mai 2020 statt, also w?hrend der “ersten Welle”. Zu dieser Zeit befanden sich die meisten L?nder noch im Lockdown bzw. es galten in der Regel strenge Beschr?nkungen. Der Fokus der vorliegenden Untersuchung war recht breit angelegt. D. h. die Personen wurden sowohl hinsichtlich ihres Verhaltens zum Thema Kontaktbeschr?nkungen als auch zu Hygienema?nahmen und ihren Einstellungen gegenüber den politischen Entscheidungen befragt. Beim letzten Block, also den politischen Entscheidungen, ging es dann auch um kontroverse Themen wie die Schlie?ung von Schulen, Bars und Restaurants oder die Einschr?nkung von Reiseaktivit?ten. Die Einstellung gegenüber Impfungen war nicht Teil der Studie, da zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar war, wann ein Impfstoff verfügbar sein würde.
Gibt es in Ihrem Fachbereich h?ufiger Studien mit so vielen Ko-Autoren und der Zusammenarbeit in so vielen L?ndern? Wie wurde das Ganze koordiniert?
Tats?chlich ist die Art und Weise, wie diese Studie entstanden ist, besonders – und in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um ein globales Projekt mit über 200 WissenschaftlerInnen handelt, aus unserer Sicht, einzigartig. Im April 2020, also relativ zu Beginn der Pandemie, zu einer Zeit als es noch keinen Impfstoff gab, rief der US-amerikanische Forscher Jay Van Bavel von der New York University (externer Link, ?ffnet neues Fenster) weltweit Kolleginnen und Kollegen über Twitter zu einer Studie auf. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Studie hatte zum Ziel, repr?sentative Daten aus m?glichst vielen L?ndern zusammenzutragen, um in Erfahrung zu bringen wie Menschen auf die Covid-19-Ma?nahmen reagieren und welche Variablen sich hier als f?rderlich erweisen. Dem Aufruf Van Bavels folgten schlie?lich mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt.
Informationen/Kontakt
Das Forschungsteam stellt sich und das Projekt auf seiner Projektseite (externer Link, ?ffnet neues Fenster) sowie in einem Blogbeitrag von Flavio Azevedo auf Nature-Blog (externer Link, ?ffnet neues Fenster) vor und berichtet ausführlicher über die Ergebnisse ihrer Untersuchung im renommierten Wissenschaftsjournal Nature Communications (externer Link, ?ffnet neues Fenster).