Mitunter müssen Wissenschaftler feststellen, dass eine Methode, mit der sie seit Jahren erfolgreich experimentieren, unter gewissen Umst?nden doch nicht so gut funktioniert. Dann gilt es, die M?ngel akribisch zu analysieren und anschlie?end auszubügeln. Genau das gelang nun einer Arbeitsgruppe der Universit?t Regensburg, der Universit?t Durham und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) mit der R?ntgenbeugung, einer verbreiteten Methode zur Entr?tselung von Kristallstrukturen. Um sie zu optimieren, verfolgte das Team einen besonderen Ansatz: Es kombinierte die R?ntgenbeugung mit einem anderen Analyseverfahren: der R?ntgenspektroskopie – und konnte dadurch den Makel der Methode ausmerzen. Ein Resultat, für das die Deutsche Gesellschaft für Kristallographie einen der Forscher nun mit dem Lieselotte-Templeton-Preis auszeichnet.
R?ntgenstrahlung taugt nicht nur zum Durchleuchten des menschlichen K?rpers, sondern ist auch für Materialuntersuchungen überaus wertvoll: So l?sst sich mit ihrer Hilfe herausfinden, wie Kristalle im Detail aufgebaut sind – unerl?ssliche Informationen etwa für die Entwicklung neuer Hightech-Materialien oder Medikamente. Zwar ist dieses als R?ntgenbeugung bezeichnete Verfahren seit langem etabliert. Dennoch stie? ein Forschungsteam vor einiger Zeit auf ein grundlegendes methodisches Problem: An der Universit?t Regensburg hatte die Arbeitsgruppe von Dr. Michael Bodensteiner eine Kupferverbindung mit einer R?ntgenr?hre untersucht – allerdings mit einer eher ungew?hnlichen ?R?ntgenfarbe“, sogenannter Kβ-Strahlung.
?Wir hatten einen nahezu perfekten Kristall verwendet und eigentlich erwartet, dessen Struktur pr?zise ermitteln zu k?nnen“, erz?hlt der Chemiker. ?Doch dann mussten wir feststellen, dass bei manchen Messpunkten etwas physikalisch Unsinniges herauskam: Vereinfacht gesagt sa?en die Kupferatome nicht so im Kristallgitter, wie es eigentlich h?tte sein müssen.“ Um dem R?tsel auf die Spur zu kommen, schaute sich das Team das Verfahren n?her an. Dabei stellten die Fachleute fest, dass gewisse Korrekturen, die in die Methode mit einflie?en, die Ergebnisse in einigen Bereichen verf?lschen, statt sie zu verbessern. ?Früher reichten diese mathematischen Verfahren in der Regel aus“, erl?utert Dr. Bodensteiner, ?aber mittlerweile liefern unsere Messger?te derart pr?zise Daten, dass diese Korrekturen an ihre Grenzen sto?en und deshalb verbessert werden müssen.“
Durchbruch in Grenoble
Um das Manko zu beheben, tat sich das Regensburger Team mit HZDR-Forscher Dr. Christoph Hennig zusammen. Der arbeitet an einem besonderen Ort – dem European Synchrotron (ESRF) im franz?sischen Grenoble. Im Vergleich zu gew?hnlichen Labor-R?ntgenr?hren liefert die beschleunigerbasierte Anlage einen deutlich intensiveren und st?rker gebündelten R?ntgenstrahl. In Grenoble unterh?lt das HZDR eine Messstation, die Rossendorf-Beamline (ROBL). ?Sie bietet sehr gute Voraussetzungen für solche Messungen“, erkl?rt Dr. Hennig. ?Unter anderem gibt es ein leistungsf?higes Diffraktometer, das hochaufgel?ste Beugungsbilder aufnehmen kann.“ Simultan dazu sind auch spektroskopische Messungen m?glich – eine ausgewiesene Spezialit?t von ROBL. Dabei wird eine Probe mit wechselnden ?R?ntgenfarben“ durchleuchtet. Dadurch l?sst sich zum Beispiel auf gewisse chemische Eigenschaften jener Elemente schlie?en, aus denen ein Kristall besteht.
Die Idee des Teams beide Methoden, also R?ntgenbeugung und -spektroskopie, miteinander zu kombinieren, ist ein bislang kaum erprobter Ansatz. ?Eine der Herausforderungen dabei war, die verschiedenen Ger?tekomponenten aufeinander abzustimmen, etwa die Detektoren, die die Messwerte aufnehmen“, erz?hlt Nachwuchsforscher Florian Meurer von der Universit?t Regensburg. Bei ihren Experimenten nahmen die Fachleute dann vor allem jene Messpunkte ins Visier, bei denen die übliche Methode unzuverl?ssige Resultate ergeben hatte. ?Durch die Kombination von R?ntgenbeugung und -spektroskopie kamen stimmige Werte heraus“, freut sich Meurer. ?Das hei?t: Unsere Methode funktioniert.“ Für seine Masterarbeit, die er über dieses Projekt schrieb, erh?lt er Ende M?rz den Lieselotte-Templeton-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kristallographie.
Perspektiven für die Endlagerforschung
Zwar müssen die Fachleute ihr Verfahren noch verfeinern, doch für die Zukunft verspricht es einiges. So dürften sich die Strukturen gewisser Kristalle genauer analysieren lassen als bisher. Und: ?Neben der reinen Strukturinformation k?nnten wir in derselben Messung mehr erfahren, etwa über die Oxidationsstufe eines Elements“, hofft Dr. Bodensteiner. ?Das w?re zum Beispiel für die Untersuchung von katalytischen Reaktionen in der Chemie hilfreich.“ Auch für künftige Projekte an der ROBL-Messstation in Grenoble dürfte das Kombi-Verfahren von Nutzen sein: Hier untersuchen Dr. Hennig und seine Leute das Verhalten von radioaktiven Substanzen, wie sie in nuklearen Abf?llen zu finden sind. ?Wir hoffen, die Strukturen bestimmter radioaktiver Molekülverbindungen genauer erfassen zu k?nnen“, beschreibt der HZDR-Kristallograph Dr. Christoph Hennig. ?Dadurch k?nnten wir besser absch?tzen, ob eine bestimmte Substanz dauerhaft in einem Endlager verbleibt oder aber irgendwann in die Umwelt gelangen k?nnte.“
Originalpublikation:
F. Meurer, O.V. Dolomanov, C. Hennig, N. Peyerimhoff, F. Kleemiss, H. Puschmann, M. Bodensteiner: Refinement of anomalous dispersion correction parameters in single-crystal structure determinations, IUCrJ, 2022, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36071807/ (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
Kontakt aufnehmen
Dr. Michael Bodensteiner
Universit?t Regensburg
Fakult?t für Chemie und Pharmazie
Betriebseinheit Zentrale Analytik - R?ntgenstrukturanalyse
Tel.: +49 (0) 941 943-4445
E-Mail: michael.bodensteiner@ur.de