Jan Kleine: Herr Prof. Bierling, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben und mit mir über Ihr neues Buch sprechen: ?America first. Donald Trump im Wei?en Haus. Eine Bilanz“ ist dieser Tage im C. H. Beck-Verlag erschienen. Vor dem Hintergrund des Parteitags der Demokraten in der vergangenen Woche und dem der Republikaner in dieser Woche ein nahezu perfekter Moment, um über diese Thematik zu sprechen. Freundlicherweise hatte ich ja bereits vorab die Gelegenheit, das Werk zu lesen und habe dies mit gro?em Interesse getan. Gleich zu Beginn schreiben Sie in den Eingangsworten, die betitelt sind mit ?Ein Brandstifter als Pr?sident“, das erstaunlichste an Trump sei, dass er gegen so gut wie jede etablierte Regel der amerikanischen Politik versto?en und diesen Regelversto? sogar zum Markenzeichen gemacht habe. Gleichzeitig machen Sie deutlich, dass die Umfragewerte trotzdem über einen langen Zeitraum sehr stabil geblieben sind. Mehr als 90 Prozent derer, die ihm 2016 ihre Stimme gegeben haben, würden dies wieder tun. Wie passen diese paradox wirkenden Gegens?tze zusammen? Wie hat das ?Ph?nomen Trump“ also funktioniert?
Prof. Dr. Stephan Bierling: Wenn man amerikanische Politik n?her betrachtet, ist es faszinierend zu sehen, wie ein 230 Jahre altes Staatswesen mit einer so hauchdünnen Verfassung überleben kann, die überdies in dieser langen Zeit kaum ge?ndert worden ist. Wir Deutschen kennen ja unser Grundgesetz: sehr detailliert, sehr umfassend, sehr stark mit Exegese versehen, sehr oft ge?ndert. Für uns ist es schwer vorstellbar, dass in einem System wie den USA eben nicht immer das geschriebene oder interpretierte Wort die Grundlage des demokratischen Arbeitens ist. In den USA sind es vielmehr etablierte Normen, Traditionen und Rituale, die das Staatswesen zusammenhalten. Das galt für alle demokratischen und republikanischen Pr?sidenten der Vergangenheit, man hat sich an bestimmte Grundregeln des Wahlkampfs, der Debattenkultur, des Umganges mit den Bürgern, des Zugehens auf die andere Seite, des Umgangs mit der Macht gehalten. Bei Trump ist dies nun v?llig anders. Trump ist ein Regelbrecher par excellence, das sieht man auch schon daran, dass er als erster Pr?sident in der 230-j?hrigen amerikanischen Geschichte weder ein milit?risches noch ein politisches Amt innehatte, in welchem er auf die Spielregeln des Systems eingenordet worden w?re, bevor er gew?hlt wurde. Sein gro?er Wahlkampfhit war ja gerade, mit den etablierten Regeln zu brechen. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网 vor allem vor dem Hintergrund, dass eine gro?e Gruppe der Amerikaner mit diesem System auf Kriegsfu? stand und steht und sich im Wei?en Haus jemanden wünscht, der gegen Washington, gegen die liberalen Eliten der Küsten in einen Kulturkrieg ziehen würde. Trump hat das zum Kern seines Wahlkampfes gemacht und damit wider Erwarten eine Mehrheit der Wahlm?nnerstimmen bekommen.
In seinen knapp vier Jahren im Wei?en Haus ist es ihm gelungen, die drei gro?en Gruppen, die seine Wahl erm?glicht haben, noch fester an sich zu binden. Das sind zum einen die klassischen Wirtschaftsliberalen, also Unternehmer und Kleingewerbetreibende, die auf der republikanischen Seite sind, weil sie gegen Regulierung, gegen neue Auflagen im Sozialsystem und gegen Umweltschutz und für weniger Steuern sind. Als zweite wichtige W?hlergruppe hat er die Evangelikalen an sich gebunden, was wirklich erstaunlich ist, denn wie schafft es jemand, der aus New York kommt bei, bei der dritten Ehefrau angelangt ist, ein sicherlich nicht bibeltreues Leben führt, sein Geld zum Teil im Casinogewerbe verdient hat, zum Kandidaten der Evangelikalen zu werden? Zum Kandidaten jener fundamentalistischen Christen, die in der Verweltlichung Amerikas eine Bedrohung und in der Abtreibungsfrage die gr??te Gefahr sehen. Für diese Klientel hat er sich als Retter, als Vork?mpfer positioniert: Trump würde das alte Amerika der Fünfzigerjahre, als der wei?e m?nnliche Christ der zentrale Bezugspunkt der Gesellschaft war, verteidigen, komme was wolle. Es ist ihm gelungen, den Evangelikalen genau das zu geben, was sie wollten.
Jetzt kommen wir zu der Gruppe, die für mich am interessantesten ist, weil sie keine traditionelle republikanische W?hlergruppe war: Die Trumpisten oder Wutbürger, bestehend zum Teil aus früheren Nicht-W?hlern, zum Teil aus von den Demokraten entt?uschten Leuten, aus Bürgern wie ehemaligen Fabrikarbeitern, über die der dramatische gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel hinweggefegt ist. Sie alle lassen sich als Personen beschreiben, die sich im etablierten politischen System nicht mehr aufgehoben fühlten und deshalb auf jemand setzten, der das System ja nicht nur reformieren, sondern grunds?tzlich umzugestalten versprach. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e drei Gruppen hat Trump so auf sich eingeschworen, dass er immer zwischen 40 und 45 Prozent Zustimmung in seiner ganzen Amtszeit hatte. Er hatte nie eine Mehrheit der Amerikaner hinter sich – das war ja schon bei der Wahl nicht der Fall – aber diese Leute gingen ihm auch w?hrend der schlimmsten Krisen nicht von der Fahne.
Herr Professor Bierling, im ersten Kapitel Ihres Buches schreiben Sie, obwohl Trump einer der am einfachsten tickenden Pr?sidenten der amerikanischen Geschichte ist, lohne sich eine Auseinandersetzung mit ihm doch, weil seine Pr?sidentschaft und sein Handeln viel Aussagekraft über den Zustand und die Belastungsgrenzen der amerikanischen Demokratie haben. Ihr Buch beleuchtet also nicht nur die Person Trump und seine Art das Pr?sidentenamt auszufüllen, sondern auch die Entwicklung der Demokratie in den USA und ihren jetzigen Zustand?
Das war der Anspruch. Es existieren ja sehr viele Bücher von Personen aus Trumps unmittelbarem Bekannten- und Arbeitskreis, die ausscheiden und dann die gesammelten schrecklichen Dinge, die sie erlebt haben, preisgeben. Au?erdem gibt es Hintergrundbücher, zum Beispiel von Bob Woodward, dem Meister des investigativen Journalismus von der Washington Post. Was es aber bisher nicht gab, ist der Versuch, die Trump-Pr?sidentschaft mit all ihren Uns?glichkeiten politikwissenschaftlich und historisch einzuordnen. Eine Frage, die sich durch das ganze Buch zieht, ist: H?lt diese seit 230 Jahren funktionierende politische Demokratie der USA jemanden wie Trump aus? Oder kommt sie an ihre Belastungsgrenzen?
In der Tat gibt es immer wieder Beispiele, wo sich Trump als Mann mit autorit?ren Instinkten erweist, wo er sich nicht sonderlich von Putin oder von Erdogan unterscheidet, aber: Das amerikanische System widersetzt sich ihm im Letzten doch und versucht, ihn einzuhegen. Das gelingt nicht perfekt, aber es gelingt zu einem guten Teil – und jeder tr?gt ein bisschen dazu bei, der Kongress, die Justiz, die Bürokratie, die Medien. Am wenigstens allerdings der Kongress, gerade in den ersten beiden Amtsjahren war der er als Gegenmacht zum Pr?sident au?er Kraft gesetzt, da er in diesem Zeitraum in beiden H?usern republikanische Mehrheiten hatte und die Republikaner sich Trump fast v?llig unterworfen haben. Das Aufzeigen von Grenzen ist auch weniger den Medien zu verdanken, denn in diesem Bereich hat sich Trump mithilfe seiner Twittermeldungen, durch FOX News und Breitbart sein eigenes Medienbiotop geschaffen. Auch die Gerichte haben nur ein bisschen zu seiner Einhegung beigetragen. Zwar gab es auf Ebene der Bundesgerichte, also bei Berufungsrichtern oder bei Bundesrichtern, Widerstand gegen Trump‘sche Initiativen, aber der Supreme Court ist nicht als wirkliches Gegengewicht zu ihm aufgetreten, nicht zuletzt aufgrund der zwei neuen rechten Richter, die auf Trump eingeschworen sind.
Was also hat sich Donald Trump am st?rksten entgegengestellt? Das war der F?deralismus, getragen von zumeist demokratisch, aber auch von einigen republikanisch dominierten Bundesstaaten und vielen gro?en St?dten. Das zeigt, wie wichtig vertikale Gewaltenteilung ist, die Widerstand gegen einen Machtanspruch der Zentrale – verk?rpert durch Trump – leisten. Vergleichen wir die USA mit der Türkei oder mit Russland, sehen wir, dass diese f?deralen Strukturen hier in sehr viel geringerem Ma?e existieren. Russische Bezirksgouverneure zum Beispiel werden von Putin selbst eingesetzt.
Das erste Kapitel Ihres Buchs beleuchtet die Stationen im Leben von Donald Trump: Elternhaus, Universit?t, Einstieg ins Gesch?ftsleben, Berührungspunkte mit der Politik. Sie sagen, dass Besondere an Trump ist, dass er bis zu seiner Pr?sidentschaft nie ein Amt im Milit?r oder in der Politik bekleidet hat. Für mich scheint es aber, als habe er seinen Weg zum Pr?sidentenamt doch l?nger geplant oder vorbereitet, als gemeinhin angenommen. Würden Sie diesem Eindruck zustimmen?
Er hat schon vor 2015 ab und zu mit dem Gedanken gespielt, als Pr?sident der Vereinigten Staaten zu kandidieren. Aber wie vieles bei Trump hat man das für seine typische Gro?m?uligkeit genommen. Selbst als er 2015 im Trump Tower seine Pr?sidentschaftskandidatur ankündigte, hatte er weder gute Berater, noch ein eingespieltes Wahlkampfteam, noch Finanzmittel. Es war also ein Trial-and-Error-Verfahren, ein typisches Verhalten für diesen Mann, der zur strategischen langfristigen Planung nicht f?hig ist. Aber er kann Gefühle und Stimmungen in der Bev?lkerung fantastisch lesen, was er vor allem als Host seiner sehr erfolgreichen Castingshow ?The Apprentice“ gelernt hat. Sein ganzer Wahlkampf bestand im Grunde aus ihm, seinem Flugzeug und seinem Twitter-Account. Dass er damit alle etablierten Regeln, wie man sich als Pr?sidentschaftskandidat profilieren muss, au?er Kraft gesetzt hat – das war sein Geniestreich. Dazu z?hlt auch, dass er seine Chance genutzt hat, um im Zuge der Tea-Party-Bewegung als Rechtspopulist bei den Republikanern einzusteigen – und das als v?lliger politischer Au?enseiter, den bis heute inhaltlich nicht viel mit der Republikanischen Partei verbindet. Er brachte seinen Fu? in die Tür, kaperte die Partei und zog dann mit diesem Apparat ins Wei?e Haus ein.
Das f?derale System der USA hat es vermocht, einiges wieder aufzufangen, was Trump in falsche Bahnen gelenkt hat oder was er zum weiteren Ausbau seiner pers?nlichen Macht h?tte nutzen k?nnen. Im vorletzten Kapitel Ihres Buches schreiben Sie, dass es sogar ein paar wenige innenpolitische Erfolge Trumps gab. Halten Sie es für m?glich, dass seine Vers?umnisse, seine insgesamt dürftige politische Bilanz ohne sein offensichtlich unzul?ngliches Krisenmanagement w?hrend der Corona-Pandemie in den Hintergrund getreten w?re?
Genauso würde ich das sehen. Auf der einen Seite ist ihm wirklich gelungen, für die drei eingangs genannten W?hlergruppen einiges zu erreichen. Er hat sich aber nie bemüht, als Landesvater für alle Amerikaner aufzutreten, auch für die, die ihn nicht gew?hlt haben. Darum ging es ihm nie und auch das ist v?llig neu in dieser Pr?sidentschaft.
Gesetzgeberisch war es keine sehr produktive Amtszeit. In den ersten zwei Jahren hat er einige Punkte seiner Agenda durchgekriegt, zum Beispiel die Steuerreform, aber er ist mit der Abschaffung von Obamacare gescheitert – was ja ein gro?es Ziel war. Nachdem Anfang 2019 das Repr?sentantenhaus demokratisch geworden ist, hat er bis zum Ausbruch der Pandemie keine einzige bedeutende Gesetzesinitiative mehr durch den Kongress gebracht.
Die Pandemie ist für Trump vor allem eine vertane Chance, denn Corona h?tte ihm die M?glichkeit gegeben, von dieser doch recht dürftigen Bilanz seiner Amtszeit abzulenken. Viele Politiker haben diese Chance genutzt, denken Sie zum Beispiel an den bayerischen Ministerpr?sidenten S?der, der durch seine engagierte Anti-Corona-Politik zwischenzeitlich auf 94 Prozent Zustimmung gekommen ist; denken Sie an Angela Merkel, die am Ende ihrer letzten Amtszeit noch mal Aufwind bekommen hat, weil sie Corona recht gut managt; selbst für den italienischen Premierminister und für den franz?sischen Pr?sidenten sind die Zahlen der ?ffentlichen Zustimmung nach oben gegangen. H?tte Trump in dieser Zeit kompetente, entschlossene, empathische Führung gezeigt, bin ich mir sicher, dass er exzellente Wiederwahlchancen gehabt h?tte. Doch in seinem Fall hat die Pandemie offengelegt, dass Amerika gerade keinen Pr?sidenten vom Format eines Washington, Lincoln oder Roosevelt im Wei?en Haus hat, sondern einen sowohl charakterlich als auch führungstechnisch v?llig überforderten Amtsinhaber. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Tatsache ist auch bei einem Teil seiner Anh?nger angekommen. Ende M?rz, Anfang April 2020 lagen die Zustimmungsraten für Trump bei fast 50 Prozent. Durch sein katastrophales Missmanagement der Corona-Pandemie ist er auf seine 40 bis 45 Prozent zurückgefallen und aus diesem Korsett wird er – solange Corona das dominierende Thema der amerikanischen Politik bleibt – nicht mehr herauskommen.
Wenn man jetzt eine Bilanz zieht, wie gro? würden Sie vermuten ist der Schaden insgesamt, der durch Trump für das politische System auf internationaler Ebene, auf nationaler Ebene und ganz konkret für die Partei der Republikaner entstanden ist?
百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e drei Ebenen sind eine sehr gute Unterscheidung, denn die Bilanz f?llt tats?chlich jeweils anders aus: Innenpolitisch hat Trump die massivste parteipolitische Polarisierung in der amerikanischen Geschichte vorgefunden - und sie weiter verst?rkt. Er hat Amerika in zwei St?mme gespalten, davon wird der gesamte innenpolitische Diskurs heute so massiv überlagert, dass normale Kompromissfindung, wie es im politischen Gewerbe erforderlich ist, kaum mehr m?glich ist. Er hat die Funktionsf?higkeit des politischen Systems mit seinen autorit?ren Instinkten aufs schwerste besch?digt.
Parteipolitisch hat er es jedoch geschafft, die demografische Ver?nderung mit seiner Strategie der Mobilisierung von Wei?en aus der schlechter ausgebildeten Mittel- und Unterklasse auszuhebeln. Das hatte niemand so richtig auf der Rechnung, der Konsens war: Wenn die Republikaner in den USA dauerhaft überlebensf?hig bleiben wollen, müssen sie sich den boomenden Gruppen st?rker ?ffnen: den Hispanics, den besser Ausgebildeten und den Asian Americans. Trump hat die Republikaner auf eine Strategie aus den 1950er Jahren eingeschworen und diese Strategie zu revidieren, wird nicht leicht werden. Wir wissen, dass junge Leute zwischen 18 und 30 Jahren Wahlpr?ferenzen entwickeln, an denen sie fast ihr ganzes Leben lang festhalten, und diese Generation hat Trump in die Arme der Demokraten getrieben. Gleichzeitig schrumpft die typische Trump-W?hlerschaft als Anteil an der Gesamtbev?lkerung. Mit der rückw?rtsgewandten Fixierung auf Strategien, die angesichts der demografischen Entwicklung eigentlich überlebt sind, hat Trump seiner Partei langfristig gesehen einen B?rendienst erwiesen.
Au?enpolitisch hat Trump natürlich eine sehr schwierige Lage vorgefunden, denn Amerika war geschw?cht: Wegen des Aufstiegs Chinas, wegen der hyperaggressiven Politik Russlands, wegen eigener massiver Fehler, Beispiel Irakkrieg. Zudem hatte er keinerlei strategisches Verst?ndnis für die Erfordernisse Amerikas im 21. Jahrhundert. Seine Idee von ?America first“ und ?Make America great again“ sind im Grunde Dinge, die von der Terminologie her schon aus dem letzten Jahrhundert kommen. ?America first“ war ein Slogan, den Lindbergh in den 1930er Jahren nutzte, um gegen den Kriegseintritt der Amerikaner gegen Nazi-Deutschland zu wettern. ?Make America great again“ war ein Slogan von Ronald Reagan, der aber zu einer v?llig anderen Zeit gebraucht wurde, n?mlich als Reagan in der Endphase des Kalten Kriegs die torkelnde Sowjetunion ?konomisch, politisch und milit?risch in die Defensive dr?ngte. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Slogans sind nicht mehr angemessen für die heutige Welt, denn angesichts der Verschiebung im globalen Machtgefüge ist wirtschaftliche St?rke nicht unbedingt das gr??te Pfund, das die USA gegenüber Rivalen wie China und Russland auf die Waagschale bringen k?nnen. Wahrscheinlich auch nicht mehr die milit?rische St?rke, obwohl die USA den anderen hier immer noch deutlich überlegen sind. Tats?chlich ist es die St?rke der Allianzen und das von den Amerikanern in 70 Jahren etablierte Bündnissystem. Die Amerikaner arbeiten heute mit fast 70 L?ndern in kollektiven oder bilateralen Bündnisvertr?gen aufs engste zusammen. Sie haben dutzende von Basen auf dem ganzen Planeten, die bei Bündnispartnern angesiedelt sind. Das ist das Pfund, mit dem Amerika wuchern müsste, um seine weltpolitische Stellung zu konservieren und um in enger Abstimmung mit Bündnispartnern den Zerst?rern der liberalen Weltordnung in Moskau und in Peking entgegenzutreten. Trump jedoch spielt Russland und China in die H?nde, wenn er die Allianzen der USA schw?cht, indem er keine langfristige Perspektive an den Tag legt, indem er sich immer wieder aus pers?nlichen Motiven als Putins Pudel geriert oder indem er sich in der Auseinandersetzung mit China nur einen kleinen Teil, n?mlich die Handelsbilanz, als Problem vornimmt. Da gibt es ganz andere Probleme, von denen er aber keinerlei Ahnung hat, weil ihm das politische Grundverst?ndnis für Weltpolitik fehlt.
Ihr Buch endet mit dem Ausblick auf die Pr?sidentschaftswahlen in den USA am 3. November 2020. Gehen wir mal davon aus, dass die Pr?sidentschaft Trumps im November 2020 enden und Joe Biden als 46. Pr?sident folgen wird. Wie sehen Sie die Voraussetzung für eine kommende Pr?sidentschaft der Demokraten? Wie kann sich Biden von dem abgrenzen, was Trump gemacht hat und wie schwierig sind die Rahmenbedingungen in der jetzigen Zeit, vor allem in Hinblick auf die vermutlich weiter andauernde Corona-Pandemie?
Ich bin heute noch überzeugter, dass Joe Biden Pr?sident wird, als ich vor vier Jahren überzeugt war, dass Hilary Clinton Pr?sidentin wird (lacht). Die Umfragen sind stabiler für Biden, der Abstand zu Trump ist h?her. Vor allem in den wichtigen Swing States liegt er deutlich vor Trump. Aber ich habe beim letzten Mal drei Flaschen Brunello bezahlt, weil ich mich verwettet hatte… Die Zukunft ist offen, ich kann danebenliegen. Aber nehmen wir an, dass Biden am 3. November gew?hlt wird und am 20. Januar n?chsten Jahres ins Wei?e Haus einzieht. Dann wird, glaube ich, vor allem der neue Ton den gr??ten Unterschied zu Trump machen. Meiner Meinung nach sind die Amerikaner mehrheitlich ersch?pft von der Inkompetenz, den Lügen, der Heuchelei, der Selbstglorifizierung des Amtsinhabers. Und da wird mit Biden jemand auftreten, der schon einen ganz anderen Ton hat: nicht den aggressiven, spalterischen, zum Teil gemeinen Ton Donald Trumps, sondern den Ton einer Person, die bestrebt ist, Rationalit?t, Kompetenz und auch eine gewisse Demut ins Wei?e Haus einziehen zu lassen. Damit wird noch kein einziges der Probleme gel?st, aber das Zutrauen in die Führungsf?higkeit einer Regierung ist ganz zentral, und die hat Trump bei der Mehrheit der Amerikaner auf schwerste erschüttert.
Die konkreteste Herausforderung wird auch nach dem 20. Januar die Corona-Pandemie sein. Vielleicht hat Biden das Glück, dass schon im Sommer 2021 ein Impfstoff gefunden wird. Aber er hat jetzt schon angeregt, dass eine Maskenpflicht eingeführt wird – auch wenn er das selbst nicht durchsetzen kann, weil es Sache der einzelnen Bundesstaaten ist. Aber natürlich ist es v?llig illusorisch zu glauben, dass die Pandemie damit enden wird. Wir sehen das ja auch in Deutschland oder in Spanien oder in anderen L?ndern mit sehr rationalen, vernünftigen Regierungen – und selbst Neuseeland, das fast die Pandemie besiegt hatte. Sowas kann immer wieder ausbrechen. Da ist Zufall im Spiel. Und das Verhalten der Bev?lkerung ist nicht beliebig steuerbar in Demokratien. Aber zumindest das Gefühl, dass sich jemand der gro?en Sorgen vieler Amerikaner annimmt und sie nicht nur sozusagen als politisches Stimmvieh missbrauchen will, dass wird, glaube ich, den Unterschied machen in einer Biden-Pr?sidentschaft.
Würde im Januar 2020 Joe Biden ins Wei?e Haus einziehen, w?re er der ?lteste gew?hlte Pr?sident der Vereinigten Staaten. Ist Biden trotz oder vielleicht sogar wegen seines Alters der richtige Kandidat – eine Art ?bergangspr?sident, der mit politischen System vertraut ist und etablierter als es ein ganz frischer Demokrat der jüngeren Generation und oder die erste weibliche Pr?sidentin w?re?
Biden w?re in der Tat der ?lteste Pr?sident in der amerikanischen Geschichte. Biden hat seine ?senior moments“, seine ?Rentnermomente“, wo er Dinge vergisst und S?tze nicht zu Ende führt. ?brigens hatte er auch schon in jungen Jahren immer mal wieder kleine Aussetzer in Debatten. Er hat nicht das Standing eines frischen, innovativen Mannes, der die Partei in die Zukunft führen wird. Aber Biden ist der beste Kandidat, den die Demokraten aufstellen konnten, weil er der letzte ist einer Generation, einer der noch die gesamte Partei verk?rpern kann: Eine Partei, die zunehmend in Partikularinteressen zerf?llt. Da haben Sie die Schwarzen, dann haben Sie die Hispanics, da haben Sie die Feministinnen, da haben Sie die Umweltschützer, da haben Sie die Bernie Sanders-Linken, überhaupt diese unglücksselige Identit?tspolitik, wo man sich nicht mehr als Individuum, sondern als Angeh?riger einer Gruppe definiert. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Gruppen k?nnen zum Teil überhaupt nicht miteinander. Für Biden gilt, dass er noch aus der Generation von Bill Clinton stammt, die für die gesamte Partei eine Mantelfunktion hat. Das bringt ihn in diese au?ergew?hnliche Position, sich als ?bergangspr?sident definieren und seine Pr?sidentschaft als Stabübergabe an die n?chste Generation der Demokraten sehen zu k?nnen.
Ich würde mich nicht wundern, wenn Biden wirklich nur eine Amtszeit machen würde, und das w?re wirklich au?ergew?hnlich in der 230-j?hrigen Geschichte der USA. Mir ist kein anderer Pr?sident bekannt, der mit der Absicht, nur eine Amtszeit zu machen, angetreten ist. Es w?re vergleichbar mit dem Rücktritt Papst Benedikts XVI., der gr??ten Leistung seiner Amtszeit. Wie wichtig dieser Weg ist und wie schnell er beschritten werden kann, zeigt die Nominierung von Kamala Harris als Kandidatin für das Amt der Vizepr?sidentin. Sie ist schwarz, von mütterlicher Seite Inderin, weiblich. Das sind Dinge, die vor zehn, zwanzig oder drei?ig Jahren eher als Ausschlusskriterium für eine Kandidatur gewertet worden w?ren. Heute ist Harris mehrheitsf?hig und im besten Sinne eine ?gew?hnliche“ Kandidatin – und ihre Kandidatur verk?rpert diesen von mir schon genannten demografischen und weltanschaulichen Wandel in den USA. Zum Vergleich: Geraldine Ferraro ist in den 1980er Jahren bei den Demokraten als Vizepr?sidentschaftskandidatin von Kandidat Mondale angetreten – das wurde damals als billiger Versuch gewertet, die weibliche W?hlerschaft auf seine Seite zu bekommen. Einen schwarzen Vizepr?sidentschaftskandidaten gab es überhaupt noch nicht. Auch das h?tte bis vor einiger Zeit eher als Schw?che gewertet werden k?nnen. Dass die Entscheidung für Kamala Harris jetzt als Establishment-Kandidatur, als wenig überraschende Kandidatur, als die sicherste Wahl angesehen wird, auf die Biden setzen hat k?nnen, das sagt eine Menge über die Ver?nderung Amerikas.
Lassen wir dieses Interview optimistisch enden: Vielleicht hat Trump über seine Rückwendung in die 1950er Jahre zwar viel Negatives und Zerst?rerisches für die amerikanische Demokratie angerichtet. Aber wenn er am 3. November wirklich abgel?st wird, dann k?nnte man das vielleicht auch als Weckruf für die Demokratie sehen, als Weckruf auch für die Demokraten, endlich wieder zusammen zu arbeiten und nicht in viele Fraktionen zu zerfallen. Allerdings müssen die Demokraten nachweisen, dass sie den Trump-W?hlern ein attraktives Angebot machen k?nnen und sie nicht wie Obama und Hillary Clinton links liegen lassen und sogar noch verspotten. Denn wenn sie genauso spalterisch nur auf linke und absonderliche Themen setzen, wie es im Vorwahlkampf manchmal der Fall war, dann versündigen auch sie sich am politischen System der USA. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网es System hat sich im Letzten immer auch darin ausgezeichnet, dass es Parteien mit Massenappeal produzierte. Das wird die gro?e Aufgabe der Demokraten: Nicht nur Partei für die 53 Prozent sein, die sie vielleicht am 3. November ins Wei?e Haus bringen werden, sondern eine Partei, die das gesamte Amerika repr?sentieren will. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网 w?re DAS gro?e Verm?chtnis, das Biden seiner Partei einbl?uen sollte.
Professor Bierling, haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit und dieses Interview. Vielen Dank au?erdem für das sehr interessant zu lesende Buch, bei dem man – selbst wenn man dachte, man wisse schon einiges über Trumps Pr?sidentschaft – doch noch einiges lernen kann.
Weiterführende Informationen:
- Stephan Bierling: America First. Donald Trump im Wei?en Haus. Eine Bilanz
erschienen am 27. August 2020 im C. H. Beck-Verlag, ISBN:
978-3-406-75706-8; weitere Infos auf der Verlags-Homepage - zur Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen
- am Sonntag, 30. August 2020, wird Professor Bierlings Buch in der ARD-Sendung "ttt - titel thesen temperamente" vorgestellt werden