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Metropolen als theatrum mundi

Pluralit?t, Mobilit?t, Innovation, Konflikte

Metropolitane Gesellschaften sind bereits in der Antike durch internationale Anziehungskraft und Ausstrahlung globale Gesellschaften, in denen diverse Religionen, Kulturen, Sprachen vereinigt sind. Im Jahr 2008 wurde in einer Ausstellung zum antiken Babylon, die nacheinander in den drei europ?ischen Metropolen London, Paris und Berlin gezeigt wurde, der Ursprung der Idee der globalisierten Stadt aufgezeigt. Der doppelte Impuls von Innovation und Disziplinierung, kultureller Pluralit?t und sozialen Konflikten ist ein Kennzeichen von Metropolit?t. Schwentker spricht vom ?Janusgesicht der meisten Megast?dte - als urbanes Zentrum wirtschaftlicher und sozialer Modernisierung auf der einen Seite und als chaotischer und grausamer Moloch, charakterisiert durch Armut, Kriminalit?t und Fragmentierung auf der anderen“. Für die Vormoderne gilt es, die besonderen Voraussetzungen und Formen von sozialer Mobilit?t, Innovationsprozessen, Sozialdisziplinierung und Konfliktbew?ltigung zu kl?ren. Auf politisch-herrschaftlicher Ebene tut sich in diesem Bereich die Frage nach der Spezifit?t metropolitaner ?Stadtherrschaft‘, nach Partizipationsansprüchen der metropolitanen Gesellschaft und nach den Legitimations- und Repr?sentationsstrategien der sozialen Eliten auf. Zeichnet sich die Vormoderne in Europa generell durch autorit?re monokratische oder oligarchische Herrschaftsformen aus, sind Gro?st?dte schon früh die ?Werkst?tten‘ für neue Formen der politischen Vergesellschaftung. Neuere Studien zu Paris zeigen etwa, dass selbst in der vom franz?sischen K?nigtum vollst?ndig vereinnahmten und beherrschten Hauptstadt, in der sich im Mittelalter keine kommunalen Entscheidungsgremien nach oberitalienischem Vorbild etablieren konnten, auf eine Partizipation der sozialen und wirtschaftlichen Eliten an der Stadtregierung nicht verzichtet werden konnte. Die subtilen Mechanismen dieser ?nicht-legitimen Herrschaft“ durch die Vorsteher der Pariser Kaufleutegilde und ihre Sch?ffen, die sich in Sp?tmittelalter und Frühneuzeit im Spannungsfeld der herrschaftlichen Integration und Kontrolle einer immer st?rker anwachsenden und pluralen Pariser Stadtbev?lkerung einerseits und der ?ffentlichen Zurschaustellung von Bescheidenheit und Unterordnung unter die k?nigliche Stadtherrschaft andererseits bewegen, w?ren ein lohnendes Beispiel für ein transdisziplin?res Projekt im Rahmen des beantragten Graduiertenkollegs, an dem Graduierte aus der mittelalterlichen Stadtgeschichte (Prosopographie der Prév?ts des marchands), mittelalterlich- frühneuzeitlichen Rechtsgeschichte (jursidcitional complexity der Pariser Gerichtsinstanzen und deren Verh?ltnis zum K?nig) und Kunst-/Architekturgeschichte (Repr?sentationen der Prév?ts des marchands im Pariser Stadtraum) zu beteiligen w?ren.

Die in vielen Metropolendefinitionen hervorgehobenen Innovationspotenziale metropolitaner Gesellschaften sind im beantragten Graduiertenkolleg systematisch mit den sozialen, medialen und technologischen Bedingungen der Vormoderne für Transkulturalit?t, Migration und soziale Mobilit?t zu verknüpfen. Die gro?en urbanen Zentren boten die besten medialen und institutionellen Voraussetzungen für die überlokale Normierung sozialer Praktiken. Hier sammelten sich verschiedene Tr?ger und Institutionen des Wissens; hier trafen unterschiedliche soziale und sprachliche Kulturen aufeinander. Ein vergleichsweise h?herer Grad an sozialer und r?umlicher Mobilit?t f?rderte überdies in den Metropolen die Bereitschaft und Notwendigkeit zu Innovationen. Soziale, ?konomische und intellektuelle Mobilit?ten sind in den gro?en urbanen Zentren der Vormoderne eng aufeinander bezogen. Gerade die frühen Formen ?globalisierter‘ Wirtschaftsstrukturen, die in Sp?tmittelalter und Frühneu- zeit im interkontinentalen Fernhandel zu beobachten sind, f?rdern die Bedeutung der gro?en inter- nationalen Umschlagpl?tze. Im europ?ischen und mediterranen Raum sind dabei in vielen F?llen Kontinuit?ten zu griechisch-r?mischen Hafenst?dten gegeben (D. Steuernagel). Angesto?en durch demographische Bewegungen und teilweise durch politische Zentralisierungsprozesse, entwickeln Metropolen eine Eigendynamik der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Transaktionen: ?Metropolitan cities became megawatt transmitters of new ideas, manners, fashions, leisure activities, patterns of consumption, and new forms of social interaction...“ (Aerts/Clark 1990).

Ansatzpunkte dafür bieten vielf?ltige Forschungen zu Kulturtransfers, zur historischen Migrationsforschung sowie der jüngst von den Antragstellern vorlegte Band ?Die?? bewegte Stadt. Mobilit?t und Innovation in vormodernen Gro?st?dten“ (Oberste/Ehrich 2015). Das Interesse an Migration, Transkulturalit?t, sozialer Mobilit?t und Innovation verbindet alle an diesem Antrag beteiligten Disziplinen. In rechts- und wirtschaftsgeschichtlicher, ebenso in literatur-, kunst-, sprach- und kirchenhistorischer Perspektive ergeben die M?glichkeiten und Probleme von personalen und Wissenstransfers neue Anfragen an die vormoderne Urbanit?t und Metropolit?t: Soziale Mobilit?t unterlag in der Vormoderne scharfen rechtlichen und sozialen Regeln. Dennoch war sie für das soziale System unverzichtbar. Welche Rolle spielten die urbane Lebensform und das Vorbild der gro?en urbanen Zentren dabei, die Regeln sozialer Mobilit?t umzuformulieren? Welche Faktoren bestimmten die M?glichkeiten und Grenzen des sozialen Aufstiegs in den St?dten? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mobilit?t, Migration und st?dtischer Innovation? Darüber hinaus funktioniert die Stadt als integratives, aber auch differenzierendes System. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form werden soziale oder politische Kontrollmechanismen zur Steuerung von Innovationen wirksam? ?ber die demographische Angewiesenheit der St?dte auf kontinuierlichen Zuzug hinaus, die Historiker und Soziologen immer wieder betonen, soll hier die essentielle Bedeutung kultureller Regeneration durch Migration und ihre institutionellen Regulierungen in den Blickpunkt rücken. In unserem Sinne ist also nach den kulturellen Bedingungen für erfolgreiche Informations- und Anpassungsprozesse in vormodernen Gro?st?dten zu fragen.

In diese Fragerichtung lassen sich n?herhin Untersuchungen zur Geschlechterkonstruktion oder zur Topographie gro?famili?rer Verb?nde in der Vormoderne einbinden. Dynamische r?umliche und soziale Mobilit?t zog notwendig die Aufl?sung traditioneller Familienstrukturen nach sich. Die ?bernahme asketischer und z?libat?rer Lebensformen durch Angeh?rige der st?dtischen Oberschichten, zumal im Falle von Frauen, wurde von sp?tantiken Autoren als Angriff auf das traditionelle Familienbild verstanden und von manchen Historikerinnen in die weibliche Emanzipationsgeschichte inskribiert. Für das mittelalterliche Paris haben Vergleiche mit der l?ndlichen Umgebung im Sp?tmittelalter gezeigt, dass die Haushalte in der franz?sischen Metropole deutlich kleiner und deutlich weniger ortsstabil waren als in der b?uerlichen Gesellschaft. Insbesondere die Gender Studies haben zudem auf die Bedeutung der vormodernen urbanen Gesellschaft für die Erweiterung des Handlungsspielraums von Frauen in sozialer, ?konomischer, rechtlicher oder politischer Hinsicht aufmerksam gemacht. Christines de Pizan ?Livre de la Cité des dames“ (um 1405) spielt dabei mit den kulturellen und sozialen Innovationspotenzialen des St?dtischen, aber auch mit ihren gesteigerten Abwehrmechanismen gegen Partizipationsansprüche marginalisierter Gruppen. Dabei ist das gesamte Werk Christines von den sozialen Erfahrungen, mentalen Strukturen und kulturellen Reichtümern der beiden Metropolen Venedig und Paris gepr?gt. In dieser Perspektive scheint es kein Zufall zu sein, dass die einzigen belegbaren Frauenzünfte im gr??ten und ?konomisch bedeutsamsten Zentrum im deutschsprachigen Raum, in K?ln, entstanden sind.

?hnliche Beobachtungen lassen sich in rechtshistorischer Perspektive als Normwandel beschreiben und untersuchen. Normwandel und rechtliche Innovation in vormodernen Metropolen kann als Desiderat der Forschung betrachtet werden. Im Rahmen des hier beschriebenen Forschungsprogramms k?nnte in etwa der Vorgang der Rezeption gelehrten Rechts behandelt werden, wobei nicht die sattsam bekannten inhaltlichen Aspekte im Vordergrund stehen, sondern die Rezeption als kultureller Prozess, welcher zuerst in bestimmten führenden St?dten abl?uft, die hierdurch ihre Sonderstellung als Metropole unterstreichen. Aufgrund welcher Erw?gungen, auf welchen Wegen, über welche einzelnen Personen und über welche Arten von Vorg?ngen haben diese Metropolen das gelehrte Recht rezipiert und zur Grundlage ihres neuzeitlichen Stadtrechts gemacht? Auf welchen Feldern haben sie sich einer Rezeption widersetzt? Das gelehrte Recht ist dabei die Voraussetzung für das Entstehen einer hochstehenden Stadtrechtskultur, die über das rezipierte Recht hinauswachsen kann, was sich insbesondere im Bereich des neuzeitlichen Handelsrechts und der neuzeitlichen Handelsgerichtsbarkeit beobachten l?sst. Das Bestehen eines hoch entwickelten Handelsrechts und einer professionalisierten Handelsgerichtsbarkeit ist dabei für die effektive Abwicklung von Streitigkeiten ebenso wichtig wie als Bestandteil der Repr?sentation als Metropole (vgl. das DFG-Projekt ?Die Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit. Handelsgerichtliche Gutachten in der Frühen Neuzeit", Universit?t Würzburg).

Gerade im ?konomischen Sektor zeigt sich der Zusammenhang von Mobilit?ts- und Innovationsprozessen in vormodernen Metropolen sehr eklatant. Hier bündelte sich neben politischer auch wirtschaftliche Macht, angesto?en nicht zuletzt durch den Finanzbedarf der Metropole selbst. Metropolitaner Geltungsanspruch verschlang enorme Ressourcen, seien es milit?rische Aktivit?ten von Stadtstaaten bzw. Reichsst?dten, seien es die hohen Kosten st?dtischer Infrastruktur und Repr?sentation. Zu fragen ist hier nach der Finanzierung durch Steuern oder Kredit, etwa von Kaufmanns- oder frühen Bankh?usern. Welche Institutionen bzw. Personenkreise bestimmten den Bedarf der Stadt und ihre Deckung? Wer deckte ihn, und zu welchen Kosten? Durch ihre zentrale Funktion für das Um- und Hinterland akkumulierte sich au?erdem in Metropolen Nachfrage nach Luxus-, zunehmend aber auch Massenkonsumgütern aus ?bersee (Gewürze, Kaffee, Tee, Zucker, Schokolade, Tabak, Baumwolltextilien etc.). 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网en Aspekt hat Morley (?Metropolis and Hinterland“, 2002) für die Stadt Rom der sp?ten Republik und der frühen Kaiserzeit untersucht und die tief greifende Anpassung der italischen ?konomie an die Bedürfnisse und kommerziellen Strukturen der Metropole beschrieben. Sowohl innerhalb der Metropole als auch im Verkehr mit den diese Produkte exportierenden Regionen boten sich ganz neue Erwerbschancen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Sowohl die vertikale als auch die horizontale Mobilit?t war daher in Metropolen weitaus h?her als in kleineren urbanen Zentren oder gar auf dem Land. Zu fragen w?re hier z.B. nach neuen Berufen, und welche Gruppen sie warum ergriffen. Die starke Bündelung von Angebot und Nachfrage in Metropolen führte daher auch zu erh?hter Innovationst?tigkeit. Im Finanzsektor etwa schufen Pl?tze wie Amsterdam oder London neue Institutionen oder Instrumente (moderne B?rsen, Aktien), mit denen sie die sp?tmittelalterlichen oberitalienischen Vorbilder hinter sich lie?en. Wer trieb mit welchen Motiven die Ausdifferenzierung dieser Finanzinnovationen voran, und welche Widerst?nde waren zu überwinden? Auf welchen Wegen (und gegen welche Widerst?nde) diffundierten diese Innovationen in andere europ?ische Handelszentren?

Metropolen zeichnen sich nicht zuletzt durch die Akkumulation von Machtstrukturen, durch erhebliche Konfliktpotenziale und innovative Konfliktl?sungsstrategien aus. Ob als antikes Provinzzentrum, mittelalterlicher K?nigssitz oder frühneuzeitliche Residenz eines Fürstenhofes – die Zentralisierung politischer, administrativer und rechtlicher Strukturen in einzelnen St?dten bildet in der Vormoderne in aller Regel einen entscheidenden Standortvorteil im Prozess der Urbanisierung, der zur Hierarchisierung innerhalb des regionalen, nationalen oder ?internationalen‘ St?dtenetzes beitr?gt. In metropolitanen Zentren der Antike und dann verst?rkt des Sp?tmittelalters und der Frühen Neuzeit belebt das explosive demographische Anwachsen, verbunden mit der politischen Instrumentalisierung der breiten st?dtischen Bev?lkerung (etwa der stadtr?mischen plebs) und den konkurrierenden Partizipationsansprüchen ihrer Eliten, die Suche nach Praktiken zur Bewahrung der ?ffentlichen Ordnung und zur Vermeidung von Konflikten. Die Fragmentierung der metropolitanen Gro?bev?lkerung in der rechtlichen und politischen Praxis in Stadtteile, Gerichtsbezirke, kirchliche Sprengel, Nachbarschaften u.a. setzt dabei auf der anderen Seite symbolische und pragmatische Formen zentraler Herrschaft (z.B. die k?nigliche Appellationsgerichtsbarkeit im sp?tmittelalterlichen Pariser Rechtsraum) und einheitsstiftender Ereignisse (z.B. Volksversammlungen) frei, die dem Selbstbild der Metropole als Ganzes entsprechen. Innovationen und Diversit?t, wie sie oben als Kennzeichen des metropolitanen Rechts beschrieben werden, setzen auch ein erh?htes Konfliktpotenzial frei: Metropolen sind stets Orte, an denen verschiedene Rechte und Gerichtsbarkeiten miteinander um Zust?ndigkeiten konkurrieren, vor allem geistliches und weltliches Recht und die jeweils zugeh?rigen Gerichte, aber auch verschiedene Schichten weltlichen Rechts und verschiedene weltliche Gerichte. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Zust?nde einer Jurisdictional Complexity oder Hybridity sind allzu lang nicht in den Blick einer modernen (Rechts-)geschichtswissenschaft geraten, die selbstredend das Vorliegen von nach rationalen Gesichtspunkten ausgearbeiteten Regelungen voraussetzt, welche derartige konkurrierende Rechtszust?ndigkeiten nicht kennen. Wie wurde diese Konkurrenz in Metropolen gelebt? Konnte es Metropolen gelingen, diese Jurisdictional Complexity durch eine Zentralisierung von? Recht? und? Rechtsprechung zu beseitigen und gegebenenfalls wie?


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Metropolit?t in der Vormoderne

DFG-GRK 2337

Sprecher

Prof. Dr. J?rg Oberste

St-grk 2337
Wissenschaftl. Koordination

Dr. Arabella Cortese

Kontakt und Homepage

Arabella.Cortese@ur.de

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