Der Lebkuchen kann eine reiche und wechselvolle Tradition aufweisen. Die Frage, wann der erste Lebkuchen in der Menschheitsgeschichte nachweisbar ist, kann nicht einfach beantwortet werden und h?ngt von der Definition des Geb?cks nach seinen Ingredienzien ab.
Honigkuchen und Lebkuchen. In: Die lustige Bienenfibel. [Text: Johannes Aisch. Bilder: F. von Lampe. Hrsg. vom Reichsverband Deutscher Kleintierzüchter, Reichsfachgruppe Imker]. Berlin 1939. Bienenbibliothek Dr. Manger. UB Regensburg. S. 26.
In der Literatur scheint sich immer mehr ein Konsens herauszubilden, dass die Karriere des Lebkuchens bereits vor dem Mittelalter begann, wenn man das sü?e Geb?ck als Brotteig mit Honig beschreiben m?chte, der nach Wunsch mit Gewürzen, getrockneten Früchten und Nüssen oder Mandeln zudem verfeinert werden kann. Früheste Zeugnisse finden sich bereits in vorchristlichen Kulturen wie im Zweistromland und im Alten ?gypten sowie sp?ter in der westlichen Welt bei den Germanen, Griechen und R?mern. Die Verwendung des Honiggeb?cks scheint in allen Kulturen einen prim?r religi?sen Ursprung zu haben: als Opferkuchen oder als Grabbeilage. Bei Ausgrabungen im Orient wurden modelgeformte Honigkuchen in Form von Pflanzen, Tieren und Menschen gefunden. Horaz und Ovid wiesen dem Lebkuchen als g?ttliche Speise einen Platz im Olymp zu. Ebenso wenig durfte er im goldenen Zeitalter nicht fehlen. Schlie?lich lie? sich in der Mythologie sogar der grimmige H?llenhund Cerberus durch die Sü?speise von seiner Pflichterfüllung ablenken! Die Reihe antiker Beispiele lie?e sich noch beliebig fortführen. Bereits bei den R?mern erfahren wir von einer Profanisierung des Geb?cks als Geburtstagsgeschenk oder exklusives Naschwerk für die Geliebte.
Bei den alten Germanen war es offenbar üblich, den Lebkuchen in Form von Tieren als sog. Gebildbrote zu gestalten und diese anstelle von Vieh zu opfern. Bereits hier findet sich der Brauch, dass der Lebkuchen als Nachtisch eines Festmahls anl?sslich der Rauhn?chte gereicht wurde. Ebenso sollten die Krümel des Desserts die Seelen der Verstobenen und die Percht in den zw?lf N?chten milde stimmen, damit den Lebenden kein Unheil widerfahre.
Auch in der jüdischen Religion und Festkultur haben Honiggeb?cke ihren festen Platz: beim Neujahrsfest, beim Fest des Haareschneidens und beim Fest der Thora-Gebung.
Zu Zeiten der Kreuzzüge avancierte der Lebkuchen zum Modegeb?ck: Die Verfügbarkeit exotischer Gewürze und die Etablierung von Handelsrouten erm?glichten die Bevorratung der am schwersten zu beschaffenden Zutaten. Der zur Herstellung des Lebkuchens ben?tigte Honig war nicht nur teuer, sondern auch mühsam zu gewinnen: Waldhonig wurde von den Zeidlern gefahrenvoll von Bienen entwendet. Die Bienenzucht wurde insbesondere in Kl?stern gepflegt, wobei ein Bienenvolk zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert dem Wert einer guten Kuh entsprach. In den baltischen L?ndern durften Bienenv?lker nur mit Erlaubnis des Deutschordens gehalten werden. Bis zur S?kularisation wurden gewaltige Mengen an Honig und Wachs über Danzig nach Deutschland transportiert. Die Ordensburgen verfügten über gro?e Honigkammern und spezielle Honigkeller als Reserve für Not- und Belagerungszeiten. Zur Vorbereitung der Kreuzzüge wurden gro?e Mengen an Lebkuchen als Kraftnahrung für unterwegs gebacken. Ebenso spielt in diesem Zusammenhang Met eine gro?e Rolle. Berücksichtigt man die Ertragsf?higkeit der damaligen Bienenv?lker, so wird verst?ndlich, warum der Lebkuchen als exklusives Geb?ck rangierte.
Als beliebte Festtagsleckerei und bevorzugtes Geschenk zur Taufe durch den Paten, zur Hochzeit als Liebes- oder Verlobungsgabe, zu Neujahr, Ostern, Weihnachten oder als Nikolauspr?sent an die Kinder war der Lebkuchen über das ganze Jahr hin gefragt. Durch die Lagerf?higkeit des Teigs und die Haltbarkeit des fertigen Produkts eignete sich der Honigkuchen als Handels- und Marktware. Daher behinderten auch mancherorten st?dtische Verordnungen, dass Lebkuchen ausschlie?lich vor Feiertagen hergestellt werden durften, nicht die Verfügbarkeit des Honiggeb?cks.
Lebküchner grenzten sich alsbald zu anderen Berufsst?nden wie den Zuckerb?ckern (sp?ter: Konditoren) und den Apothekern wegen deren angestammten Produkts (Magenbrot) ab. Dennoch verselbstst?ndigte sich der Stand des Lebküchners regional zu unterschiedlichen Zeiten. Die erste? Zunft fand sich bereits 1293 in Schlesien zusammen, schlie?lich trat München 1474 mit einer eigenen St?ndeordnung hervor, welche auch als Muster für die Regensburger gelten sollte. In Nürnberg hingegen k?mpften die Lebküchner bis 1643 gegen den Rat um eine Anerkennung ihrer Zunft. Zu den T?tigkeiten eines Lebzelters konnte zudem die Wachsverarbeitung (Kerzen, Wachsst?cke) sowie die Metherstellung z?hlen.
Die Bienenwohnungen. Das Zeidelwesen im Mittelalter. In: Heinrich Freudenstein: Lehrbuch der Bienenkunde. Marburg 1919. S. 94. Bienenbibliothek Dr. Manger. UB Regensburg.
Bereits im lateinischen Sprachgebrauch existieren mehrere Bezeichnungen, die einen Honigkuchen meinen k?nnen. Differenziert wird nach Verwendungszweck: ?libum“, ?mellita placenta“ und ?strues“ für Opfergaben, wobei auch ?libum“ für Geburtstagskuchen verwendet wird. Bereits im alten Rom l?sst sich eine starke Spezialisierung des B?ckerhandwerks ausmachen: die Kuchenb?cker (?pistores placentarii“, ?pistores libararii“), die Milchgeb?ckb?cker (?pistores lactarii“), Sü?geb?ckb?cker (?pistores dulciarii“) und die Honiggeb?ckb?cker (?pistores crustularii“).
Die neuere Forschung geht davon aus, dass nicht nur das Geb?ck an sich, sondern auch die damit verbundenen Br?uche und Riten sich kontinuierlich von der Antike bis zum Mittelalter erhalten haben. Sprachgeschichtlich scheint für diese These viel zu sprechen, den Lebkuchen nicht als mittelalterliche Kreation findiger M?nche und Nonnen sehen zu wollen. Für das frühe Mittelalter ist freilich die Quellenlage dürftig. Dennoch finden sich einzelne Zeugnisse, die für eine ungebrochene Tradition sprechen, wenn z. B. der fr?nkische Bischof Eligius von Noyon (589-ca. 660) gegen die heidnische Sitte, zu Neujahr Gebildbrote zu backen, wetterte. Karl der Kahle verfügte 862 eine Schenkung für St. Denis in Form von Weizen, Honig und Eiern zur Herstellung von Feingeb?ck für Weihnachten und Ostern.
Auch der Begriff der ?simila“, die uns ja bereits in den Küchenbüchern des Katharinenspitals als Weizenbrotgeb?ck mit Eiern und Schmalz begegnete, darf über ein Brotgeb?ck, das meist als ?Semmel“ im Deutschen übersetzt wird, nach Definition im Capitulare de Villis, 45, vielmehr als Sammelbegriff für verfeinertes Backwerk, auch Kuchen, hinausgehen. Im Kloster St. Gallen bezeichnete man Honigfladen als ?oblata“. Andernorts wurden Lebkuchen nach Geschmacksrichtung als ?panis mellitus“ bzw. ?panis piperatus“ bezeichnet. Als philologischer Glücksfall darf eine Glosse zu Vergils Georgica in der Tegernseer Handschrift (BSB München, Clm 18059) gelten, in der lat. ?libum“ ins Deutsche als ?pheforzeltum“ übersetzt wird. ?Pfeffer“ wurde in früherer Zeit allgemein für Gewürze, vor allem für exotische oder eine Gewürzmischung, verstanden.
Eine Unterscheidung zwischen Lebkuchen und Zelten, wie sie Christoph Weigel der ?ltere in seiner ?Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-St?nde“ vornimmt, l?sst sich bei Vergleich anderer zeitgen?ssischer Quellen nicht halten: Als ?Zelten“ werden nicht nur Geb?cke in Fladenform bezeichnet; als ?Lebkuchen“ werden ebenfalls Flachgeb?cke angepriesen. Auch Weigels etymologische Erkl?rung, das deutsche Wort ?Lebkuchen“ rühre von der lebensst?rkenden Kraft des Honigs her, darf als suggestiv gelten: Gemeinhin geht man von einer sprachgeschichtlichen Entwicklung des lat. Wortes ?libum“ aus.
Man k?nnte die Geschichte der Backkunst noch weiter verfolgen: Uns mag hier ein rascher Blick über die Grenze nach Frankreich genügen, wo der ?pain d’èpice“ zu finden und oftmals noch in Laibform anzutreffen ist.
Ein Herzensgeschenk. Weihnachtsgru? der Gartenlaube an ihre Leser. Kunstbeilage Nr. 49 (1888). Nach dem Originalgem?lde von Ludwig Blume-Siebert. Universit?tsbibliothek Regensburg, 291/LI 99999 B658.
In den Pfründnerspeiseordnungen des Katharinenspitals sucht man vergeblich nach einem Lebkuchen, obgleich die erforderlichen Gewürze als am Markt erworbene Zutaten in den Rechnungsbüchern aufgeführt werden. Die teuerste Ingredienz, der Honig, war durch den ausgedehnten Land- und Waldbesitz des Spitals in so gro?en Mengen vorhanden, dass man das wertvolle Bienenwachs in Form von Kerzen über den Eigenbedarf hinaus an die Pfründner als weitere Gratifikation abgeben konnte. Auch war der entsprechende Backofen vorhanden: Schlie?lich wurde der Lebkuchen in früheren Zeiten als mehrerer Pfund schwerer Laib in der Restglut nach den Broten gebacken. Die Pfisterei des Katharinenspitals entsprach recht genau der Beschreibung durch Christoph Weigel den ?lteren in seiner Abbildung Der Gemein-Nützlichen Haupt-St?nde, die als diesj?hriges Motiv unserer Weihnachtskarte das gesch?ftige Treiben der Lebkuchenherstellung 1698 zeigt. ?Lebküchl“ und ?anie?zeltl“ waren offenbar lediglich als Dessert eines bis zu 19-g?ngigen Herrenmenüs in den sog. Geleitsmahlzeiten vertreten und blieben den Pfründnern verwehrt.
Spekulatius. Aus: Hans Friedrich Geist: Kleine Weihnachtsfreuden. Von weihnachtlichen Br?uchen im deutschen Haus. Kassel: B?renreiter-Verlag, ca. 1940. S. 22. Universit?tsbibliothek Regensburg, 221/LB 59015 G313.
Gleich der Feiertagssemmel ist der Lebkuchen nicht nur als Weihnachtsgabe, sondern als ganzj?hriges Festtagsgeb?ck belegt. Die Mitglieder der franz?sischen K?nigsfamilie beschenkten sich zu Neujahr mit Lebkuchen; nach der Kr?nungszeremonie wurde dem neuen Staatsoberhaupt in Reims ebenfalls der Honigfladen gereicht. Modelgeformte Spekulatius oder mit Bildchen versehene Lebkuchen wurden in der frühen Neuzeit als politisches Propagandamittel und Pilgersouvenirs vertrieben. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erlaubte die günstige Sü?ungsm?glichkeit durch Rübensirup die Massenproduktion eines beliebigen Jahrmarktgeb?cks und Christbaumschmucks. Für Kinder sollten sog. Oblaten in bunten Farben den Verlust eines figürlichen Modelabdrucks ausgleichen, indem jene Papierbildchen aufgeklebt wurden. Die Vorstellung eines Schlaraffenlandes, das nach Hans Sachs mit Semmeln und nach Sebastian Brant mit Lebkuchen als Zeichen des exklusiven ?berflusses bestückt war, hatte ausgedient.