Wer Statistiken korrekt verstehen will, dem k?nnen Visualisierungen helfen: In der Schule etwa, oder in der Medizin. Eine neue Wahrscheinlichkeitsvisualisierung, das sogenannte H?ufigkeitsnetz, hat nun die Regensburger Mathematik-Didaktikerin Dr. Karin Binder, in diesem Sommersemester Vertretungsprofessorin an der Universit?t Paderborn, entwickelt und gemeinsam mit ihren Regensburger Kollegen Prof. Dr. Stefan Krauss und Patrick Wiesner in einer empirischen Studie untersucht. Darüber berichten die Forscher*innen aktuell in Frontiers in Psychology. Die entwickelte Visualisierung l?st für die Didaktikexpertin ein ganz entscheidendes Problem: ?Wir hatten bislang in Lehrkr?ftefortbildungen die H?ufigkeitsdoppelb?ume empfohlen, weil diese in Studien immer sehr gut abschneiden. Allerdings kann man in Doppelb?umen nur bedingte Wahrscheinlichkeiten darstellen, aber keine Schnittwahrscheinlichkeiten. Vierfeldertafeln haben hingegen das umgekehrte Problem: Hier kann ich Schnittwahrscheinlichkeiten darstellen, aber keine bedingten Wahrscheinlichkeiten.“
Damit existieren also zwei Visualisierungen, die jeweils nur bei einer Klasse von Aufgaben vorteilhaft sind. Und: Bei der entsprechenden anderen Aufgabenklasse müssen zun?chst Nebenrechnungen erfolgen, um die Visualisierung nutzen zu k?nnen. Unl?ngst hat Karin Binder nun eine neue Visualisierung aufgezeichnet, die beides kann - Schnittwahrscheinlichkeiten und bedingte Wahrscheinlichkeiten darstellen. Dazu betrachtet Karin Binder in Zeiten von Corona eine Beispielrechnung zu Antik?rper-Tests. Die zugeh?rigen Zahlen dieser Beispielrechnung stammen aus einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (22. April 2020), die die Situation bereits kognitionspsychologisch sehr anschaulich visualisiert haben.
Die Güte medizinischer Testverfahren wird üblicherweise über die statistischen Kennwerte Sensitivit?t und Spezifit?t angegeben. Die Sensitivit?t gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Person, die tats?chlich bereits mit Sars-CoV-2 infiziert war, einen positiven Antik?rper-Befund im Test erh?lt. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Zahl wünscht man sich m?glichst hoch und wird von Herstellern derzeit tats?chlich mit 100 Prozent angegeben. Die Spezifit?t gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass der Test negativ wird, wenn die Person auch tats?chlich noch nicht mit Sars-CoV-2 infiziert war. Auch diese Zahl wünscht man sich m?glichst nah an 100 Prozent. Die optimistischen Firmeneinsch?tzungen gehen hierbei im Moment von einer Spezifit?t von 98,5 Prozent aus.
Viele Menschen (selbst ?rztinnen und ?rzte) lassen sich von solch beeindruckenden Zahlen t?uschen, was in manchen medizinischen Diagnosef?llen auch zu unn?tigen Operationen an gesunden Personen führen kann (z. B. eine Amputation der Brust nach einer falschen Diagnose von Brustkrebs). Entscheidend für die Güte medizinischer Tests ist jedoch noch eine weitere Zahl: Wie gro? ist denn der Anteil der Personen in der Bev?lkerung, die bereits eine Infektion durchgemacht haben? Die Abbildung zeigt eine Beispielrechnung, in der bereits 1,3 Prozent der Bev?lkerung die Infektion durchgemacht haben. Da viele Studien zeigen konnten, dass all diese statistischen Informationen besser verstanden werden, wenn man sich konkrete Personen vorstellen kann, werden in den Knoten des Netzes absolute H?ufigkeiten dargestellt: Von 100.000 Personen in der Bev?lkerung sind in der Beispielrechnung 98.700 noch nicht mit Sars-CoV-2 infiziert, w?hrend 1.300 bereits eine Infektion durchgemacht haben (dies entspricht den 1,3 Prozent). Die Sensitivit?t von 100 Prozent würden dementsprechend bedeuten, dass all diese 1.300 Personen, die bereits infiziert waren, einen positiven Befund im Antik?rper-Test erhalten und es keine Person gibt, die einen negativen Befund erh?lt. Die Spezifit?t von 98,5 Prozent bedeutet hingegen, dass von den 98.700 Personen, die noch nicht infiziert waren, dennoch f?lschlicherweise 1.480 Personen einen positiven Antik?rper-Befund erhalten. Die 98,5 Prozent h?rten sich im ersten Moment gut an. Doch dadurch, dass es so viel mehr nicht-infizierte als bereits infizierte Personen gibt, resultieren immer noch viele positive Testergebnisse, die nur f?lschlicherweise positiv sind. Von insgesamt 2.780 Personen mit positivem Antik?rper-Befund waren nur 1.300 Personen in der Beispielrechnung auch tats?chlich infiziert. Nur 46,8 Prozent der positiven Testergebnisse sind demnach richtig.
All dies kann im H?ufigkeitsnetz abgelesen werden anhand absoluter H?ufigkeiten, die es erlauben, sich konkrete Personen vorzustellen. Zudem k?nnen an den ?sten des Netzes die zugeh?rigen Wahrscheinlichkeiten angetragen werden. Doch der entscheidende Vorteil zeigt sich in den Diagonalen im Netz. W?hrend bisherige Visualisierungen entweder bedingte Wahrscheinlichkeiten (wie z. B. die Spezifit?t von 98,5 Prozent) darstellen konnten, oder Schnittwahrscheinlichkeiten, geht im abgebildeten Netz tats?chlich beides. Aus dem Netz kann entnommen werden, dass es insgesamt 1.480 Personen gibt, die positiv getestet werden und bislang nicht infiziert waren. Die zugeh?rige Wahrscheinlichkeit 1,48 Prozent kann nun ebenfalls auf dem entsprechenden Ast notiert werden. Und das war bislang in keiner Wahrscheinlichkeitsvisualisierung m?glich.
Für den Statistikunterricht an Schulen und Universit?ten kann diese Visualisierung daher bequem eingesetzt werden, ohne dass zun?chst umst?ndliche Nebenrechnungen erforderlich sind, um die Visualisierung nutzen zu k?nnen. Unterrichtlich ergeben sich hieraus viele neue M?glichkeiten, die das Team um Karin Binder und Stefan Krauss nun in Trainingsstudien untersuchen.
ORIGINALPUBLIKATION:
Karin Binder, Stefan Krauss and Patrick Wiesner, “A New Visualization for Probabilistic Situations Containing Two Binary Events: The Frequency Net”, Frontiers in Psychology (2020).
DOI: 10.3389/fpsyg.2020.00750 (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
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Dr. Karin Binder
Am Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik
Universit?t Regensburg
E-Mail: karin.binder@ur.de