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Aktuelles: Warum Dr. Papathanasiou nicht an den Zufall glaubt...

...und ihm trotzdem eine Tagung widmet

01. Februar 2021, von Kommunikation & Marketing

?Es gibt keine Zuf?lle“, so beschreibt die Juristin Dr. Konstantina Papathanasiou (externer Link, ?ffnet neues Fenster) ihr Lebensmotto – mit einem Augenzwinkern, denn immerhin ist es der Zufall, dem sie in diesem Frühjahr eine zweit?tige fachübergreifende Tagung an der Universit?t Regensburg widmet: Von 4. bis 5. M?rz 2021 werden Referentinnen und Referenten aus Deutschland, ?sterreich und der Schweiz die rechtlichen, philosophischen und theologischen Aspekte des Zufalls diskutieren. Wir haben mit Dr. Papathanasiou darüber gesprochen, wie Zufall und Recht zusammenh?ngen, was sie von Athen nach Regensburg geführt hat und was es mit ihrem Lebensmotto auf sich hat.


Margit Scheid: Frau Dr. Papathanasiou, was hat der Zufall mit der Rechtswissenschaft zu tun?

Dr. Konstantina Papathanasiou: Angelpunkt der Rechtswissenschaft ist die Verteilung von Rechtspflichten und Verantwortung. Die Verantwortung setzt entweder Vorsatz oder Fahrl?ssigkeit voraus. Manchmal passieren aber Dinge, die nicht unter der menschlichen Kontrolle zu stehen scheinen, wie die allgemeinbekannte ?h?here Gewalt“. Der Zivilrechtler, dessen Zunft noch die Haftung ohne Verschulden kennt, fragt: Wer hat einen entstandenen Schaden zu tragen? Ein Strafrechtler interessiert sich für die Schuld des T?ters, n?mlich für dessen bewusste, freie Entscheidung für das Unrecht. Bestraft wird ja nur schuldhaftes Verhalten (Schuldgrundsatz). Der Zufall kann aber zugleich für die Vorfrage relevant sein, ob der T?ter überhaupt Unrecht getan hat – und wenn ja, in welchem Ausma?. Ein Schulbeispiel: A und B verabreichen unabh?ngig voneinander und ohne Rücksprache je 3 mg Gift in den Kaffee des C, weil sie ihn t?ten wollen. Das Gift wirkt erst ab einer Dosis von 6 mg t?dlich, was weder A noch B wusste. Haben sie sich des Totschlags schuldig gemacht?
Als Strafrechtlerin besch?ftigt mich seit meiner Promotionszeit insbesondere die Grundlagenfrage der Willensfreiheit; die Willensfreiheit ist eine Grunds?ule des Strafrechts im Sinne des Schuldgrundsatzes. Eine Strafe ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit w?re mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. In einer deterministischen Welt verl?re die Willensfreiheit ihre Bedeutung und mithin das Strafrecht seine tradierte Daseinsberechtigung, denn dann w?ren alle vermeintlich frei getroffenen Entscheidungen nur die kausale Folge vorangegangener Ereignisse – dies behaupten etwa manche Hirnforscher und sorgen damit für gro?e Aufmerksamkeit in den Medien. Eine besondere Herausforderung bei der Suche nach Verantwortung stellen au?erdem moderne technologische Entwicklungen dar, wie autonomes Fahren oder künstliche Intelligenz. Insofern verliert das Thema nie an Aktualit?t!


Und wie stehen Sie pers?nlich dem Zufall gegenüber?

Für mich als Person war die Frage ?War das jetzt ein Zufall?“ immer von gro?er Bedeutung. Wer mich kennt, wei?, mein Motto ist ?Es gibt keine Zuf?lle“. Ein banales Beispiel: Seit 2016 unterrichte ich in meiner Lieblingsstadt Paris ?Deutsches Strafrecht“, und ich kombiniere jede Reise mit Museumsbesuchen. Am Eingang des Pariser Museums Petit Palais hat mich 2017 eine ?ltere Dame nach der Uhrzeit gefragt. Aus Versehen habe ich ihr nicht auf Franz?sisch, sondern auf Deutsch geantwortet – so kamen wir ins Gespr?ch und ich erfuhr, dass die Dame Restauratorin war und an Renaissance-Gem?lden im Louvre arbeitete. In den 1990er Jahren, so erz?hlte sie mir, war sie mitverantwortlich für die Restauration des Gem?ldes ?Hochzeit zu Kana“ von Veronese. Auf dieses beeindruckend gro?e Gem?lde bezog ich mich just in dieser Zeit in einem Beitrag im Sammelband ?Menschenbilder im Recht“ (externer Link, ?ffnet neues Fenster), um das strafrechtliche Menschenbild des von mir sog. ?homo autonomus et inspiratus“ gedanklich zu untermauern. Nach diesem Treffen konnte ich also eine besondere Insider-Information zu diesem Gem?lde hinzufügen, die mir zuvor unbekannt war und in g?ngigen Kunstbüchern nicht erw?hnt wurde. Mein Fazit: Das konnte ja kein Zufall gewesen sein! Damit will ich sagen, dass wir aus allen Situationen, positiven wie negativen, etwas bewusst lernen k?nnen, was unsere Weiterentwicklung f?rdert. Und je aufmerksamer wir unseren Lebensentwürfen folgen, desto mehr Informationen nehmen wir wahr.


So war es vermutlich auch nicht der Zufall, der Sie aus Athen, wo sie geboren sind und sp?ter auch studiert haben, nach Deutschland geführt hat?
 

Aus meiner Sicht nicht, nein. Wenn man sich mit griechischem Strafrecht besch?ftigt, liegt der Blick nach Deutschland nahe, was mit der Geschichte Griechenlands zusammenh?ngt: 1821 begann Griechenland seinen Freiheitskampf gegen das Osmanische Reich. Erst im Londoner Protokoll 1830 wurde Griechenland als vollst?ndig unabh?ngig anerkannt, als Staatsform wurde die Monarchie festgelegt. Nach dem gewaltsamen Tod des ersten Staatsoberhaupts Ioannis Kapodistrias – übrigens eine gro?e politische Pers?nlichkeit, er gilt als Geburtshelfer der neutralen Schweiz – wurde 1832 der bayerische Prinz Otto als K?nig Griechenlands bestimmt. Weil dieser aber noch minderj?hrig war, übernahm zun?chst eine vierk?pfige Regentschaft den administrativen Aufbau des Staates. Einer davon war der Jurist Georg Ludwig von Maurer, auf dessen Vorschlag Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch zum Vorbild für das Griechische Strafrecht wurde. Deswegen folgt seitdem der Diskurs in Griechenland den Entwicklungen in Deutschland. Und da lag es für mich damals als für das Strafrecht begeisterte 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网 nahe, Deutsch zu lernen und in einer deutschen Universit?tsbibliothek auf Literaturrecherche zu gehen.


Ihre erste Station in Deutschland war Heidelberg?

Ja! Erst nach dem Studium habe ich zwei Jahre lang hochintensive Deutsch-Kurse besucht, und dies parallel zum Master und zum Referendariat. Je besser ich die deutsche Sprache verstehen konnte, desto intensiver besch?ftigte mich die Frage ?Wann fliege ich denn nach Deutschland?“. Es kann kein Zufall sein, dass ich gerade in dieser Zeit von Kollegen an der Athener Universit?t auf die Universit?t Heidelberg aufmerksam wurde. Das war‘s: Alea iacta est! Zuerst war ich Ende 2007 eine Woche lang in Heidelberg, daraufhin habe ich mich 2008 bei DAAD für ein sechsmonatiges Forschungsstipendium beworben – daraus wurde schlie?lich noch eine stipendienfinanzierte Promotion ab 2010 an der Ruprecht-Karls-Universit?t Heidelberg zum Thema ?Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale“ (externer Link, ?ffnet neues Fenster). Nach Abschluss der Promotion 2013 arbeitete ich als Dozentin im Strafrecht und verfolgte seit 2016 mein Habilitationsvorhaben. Heidelberg ist meine zweite Alma Mater!


Das Habilitationsprojekt hat Sie dann aber hierher, nach Regensburg, geführt?

Genau, ich hatte die Ausschreibung eines Habilitationsstipendiums an der Universit?t Regensburg gesehen, das durch die Mittel des Professorinnenprogramms II des BMBF finanziert wird, und mich sofort darauf beworben. Die Zusage Anfang 2017 hat es mir erm?glicht, mich zwei Jahre ganz meinem Thema ?Ius puniendi und staatliche Souver?nit?t – Genese, v?lkerrechtlicher Rahmen und straftheoretische Kontextualisierung des sog. Internationalen Strafrechts“ zu widmen, was zuvor, mit einer halben Stelle schwierig war. Und direkt anschlie?end wurde ich noch ein Jahr lang durch das Habilitationsabschlussstipendium im Rahmen des ?Bayerischen Programms zur Realisierung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre“ unterstützt. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网es Stipendium habe ich im WS 2019/20 zugunsten einer Lehrstuhlvertretung des Bonner Rechtsphilosophischen Instituts unterbrochen, was nicht nur eine wunderbare Erfahrung war, sondern auch meine Habilitationsschrift inhaltlich befruchtet hat. Regensburg ist meine dritte Alma Mater!


Das hei?t, Ihre Habilitation steht jetzt vor ihrem Abschluss?

Die Habilitationsschrift habe ich Ende August 2020 eingereicht, das Habilitationskolloquium steht kurz bevor.


Steht die Tagung zum Thema ?Zufall“ im Zusammenhang mit der Habilitation?

Die Tagung findet nicht zuf?llig zum Abschluss der Habilitation statt: Die Organisation dieser wissenschaftlichen Tagung ist ein Baustein in meiner akademischen Laufbahn und betont meine Vorliebe für Interdisziplinarit?t. Gleichzeitig ist die Tagung ein Dankesch?n, gerichtet an die juristische Fakult?t, die mich als Habilitandin angenommen hat, und an die Universit?t Regensburg, die mein Habilitationsprojekt drei Jahre finanziert und mithin zu dessen Realisierung beigetragen hat. Nicht zu vergessen die Stadt Regensburg, in der ich mich sehr wohl fühle.


Zur Tagung sind neben der Fakult?t und der Universit?t also auch alle Regensburgerinnen und Regensburger eingeladen?
 

Unbedingt, die Veranstaltung richtet sich nicht nur an Juristen, Philosophen, Theologen usw., sondern an alle Disziplinen und selbstverst?ndlich auch an alle Interessierten in Regensburg und darüber hinaus. Sie sind alle eingeladen, sich kostenlos über die E-Mail-Adresse zufall.tagung​(at)​gmail.com (?ffnet Ihr E-Mail-Programm) zur Tagung anzumelden, der Link zur Zoom-Konferenz wird am 1. M?rz verschickt. Wer m?chte, kann die kompletten zwei Tage dabei sein, es ist aber auch legitim, sich nur einen Vortrag herauszupicken. Das vollst?ndige Programm kann auf der Webseite https://go.ur.de/zufall (externer Link, ?ffnet neues Fenster) heruntergeladen werden.

Vielen Dank für das Gespr?ch, Frau Dr. Papathanasiou, und weiterhin viel Erfolg!

Portr?t von Frau Dr. Konstantina Papathanasiou. Foto: Susanne Lencinas
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