Zwei Frauen auf Liegestühlen, entspannt zurückgelehnt. Es scheint, sie zeichnen. Es ist Sommer, die Landschaft lichtdurchflutet. Das Bild der Künstlerin Julia Helena Ettengruber laviert zwischen Licht und Schatten, in so satten wie zarten Rot-, Grün-, Violettt?nen. Es herrscht Gelassenheit in der Szene auf der Leinwand. Sich auf dieses ?Schillern zwischen Idyll und ?bersteigerung, zwischen Ruhe und Anspannung einzulassen“, sagt Professorin Dr. Birgit Eiglsperger, Lehrstuhl für Bildende Kunst und ?sthetische Erziehung der Universit?t Regensburg (UR), bei der Vernissage der kunst.schau 2024 Ende April in der vollen Kunsthalle der UR, ?birgt für die Betrachtenden gro?en Reiz. Der Werkprozess allerdings ist keineswegs gelassen. So wie ihn die Künstlerin beschreibt, ist er voller Spannung, ja ein Abenteuer“.
Denn Wahrnehmens- und Schaffensprozesse sind komplex. ?Theorien bilden sich ausgehend von künstlerischen Prozessen und deren Reflexion“, sagt die Professorin, erinnert an die Bezüge zu anderen Disziplinen, etwa Wahrnehmungspsychologie, Philosophie, Kunstgeschichte oder Arch?ologie. Eiglspergers Doktorarbeit streifte Psychologie und P?dagogik. Sie geh?rte zu den Ersten ihres Fachs, die in der Dissertation einen interdisziplin?ren Ansatz w?hlte. Nach ihrer Promotion übernahm sie für fünf Jahre eine Professur an der P?dagogischen Hochschule Schw?bisch Gmünd, bevor sie sich an ihre Alma Mater, die UR, zurück bewarb.
Es ist ein Spiel mit Gegens?tzen, das verschiedene der 50 Werke von Lehrenden und Studierenden des Instituts für Bildende Kunst und ?sthetische Erziehung aufgreifen, die noch bis 21. Juni in der Kunsthalle der UR, im ersten Stock des Zentralen H?rsaalgeb?udes, zu sehen sind und in denen sich die Themen der Zeit spiegeln. Ein wiederkehrendes Motiv sind Portr?t und Selbstportr?t, beides Felder der Forschung und Lehre im Fach Bildende Kunst und ?sthetische Erziehung an der Universit?t Regensburg. Kern des Faches ist das künstlerische Hervorbringen. (Portr?t: Archiv Birgit Eiglsperger)
Sensibilisieren, differenzieren
?Ein Ziel unserer Lehre ist es, die Wahrnehmung zu sensibilisieren, lernen, zu differenzieren.“ Die Künstlerin hebt ihre Kaffeetasse von der zerwerkelten m?chtigen Goldschmiedewerkbank, einem wunderbar anderen Besprechungstisch. ?Wie gehe ich vor, wenn ich diese Tasse zeichnen will?“ Sie stellt die Tasse wieder ab. ?Ich muss auch vergessen k?nnen, dass es eine Tasse ist.“ Es gelte, zu zersplittern, zu zerstückeln, zu analysieren. ?Wo sind die Krümmungsbogen? Wie lang sind sie, wo fangen sie an, wo enden sie, wo ist der H?hepunkt? Gibt es Symmetrien? Wo sind Licht und Schatten?“
Wer eben diese Tasse zeichnen will, muss konsequent daran arbeiten, dass der Blick zwischen elementaren Merkmalen und der Tasse als Ganzes springt. Es gilt die F?higkeit zu erlernen, Wahrnehmung aufmerksam zu steuern und zu begreifen, wie Wahrnehmen funktioniert: ?Ich muss einen fokussierten Blick entwickeln, um charakteristische Merkmale ordnen und einordnen zu k?nnen. Das sind die Grundlagen.“ Die Grundlagen für so Vieles, sagt Eiglsperger. Sei es zum Beispiel auf einem Berg stehend Weite bewusst zu erleben, die Ausdruckskraft in einem Gesicht in den feinen Nuancen zu erfassen oder aber auch Manipulationen in Alltagsbildern zu erkennen.
?Wir streben danach, in den Menschen einen Denk-, Erlebens- und Erfahrensprozess zu initiieren, um der Welt und damit auch Kunstwerken mit einem ?produktiven Blick“ zu begegnen. ?ber die Verbalisierung von Erkenntnissen, Empfindungen und Erfahrungen entwickelt sich ein Austausch, in welchem ?berschneidungen oder Unsch?rfen zur Sprache kommen. Somit ist das sensible und differenzierte Wahrnehmen auch die Grundlage für begründetes Bewerten und reflektierte Urteilsbildung.“
Ausstellen
Am Rand des Waschbeckens in Birgit Eiglspergers Büro im Sammelgeb?ude steht eine ihrer ersten Bronzearbeiten, aus Studienzeiten. Ein Stier, der sich mit dem linken Hinterhuf am vorderen Teil des massigen K?rpers kratzt. Das Werk hat sie immer begleitet. Es ist etwas Besonderes, die ersten Stücke auszustellen, sich der ?ffentlichkeit zu pr?sentieren, berichtet die Künstlerin. In Forschung und Lehre des Fachs geht es nicht zuletzt darum, das eigene künstlerische Profil zu entwickeln.
Schlie?lich müssen die Werke ans Licht. Es sei wichtig für das Studium der Bildenden Kunst, ?Runde für Runde in eine breitere ?ffentlichkeit weiterzuziehen“, sagt Eiglsperger.
Sie hat am Institut und in Zusammenarbeit mit Universit?t, Stadt und Regensburger Museen verschiedene Veranstaltungsformate etabliert, mit denen die Studierenden gemeinsam mit Lehrenden ausstellen. Die seit 2013 j?hrlich stattfindende kunst.schau ist der Professorin besonders wichtig, denn ?sie ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes“. Die Studierenden pr?sentieren sich erstmals der ?ffentlichkeit, laden Eltern, Familien, den Freundeskreis und die Mit-Studierenden ein.
Wie es sich anfühlt, wenn die eigenen Werke dem Blick Fremder preisgegeben sind – auch das muss man trainieren. Gewisserma?en zum Einstieg hat Birgit Eiglsperger das ArtForum etabliert, das ?kleine Schaufenster im Studentenhaus“, das mindestens zweimal im Semester er?ffnet wird. Eine Ausstellungsm?glichkeit, zu der sich Studierende zum Beispiel mit einem Projekt bewerben k?nnen oder wegen überdurchschnittlicher Leistungen eingeladen werden.
In die Gesellschaft wirken
Ein drittes Format basiert auf f?cherübergreifender Projektarbeit und interdisziplin?rem Austausch. Die Ausstellungsreihen in Kooperation mit der St?dtischen Galerie im Leeren Beutel haben zum Ziel, über die Universit?t hinaus in Stadtgesellschaft und Region zu wirken. Die Reihe Spaces, 2012 bis 2018 und dann von der Corona-Pandemie unterbrochen, wird derzeit von einer neuen Reihe, Human Nature, abgel?st.
Dabei l?sst sich die Einführung des Masterstudiengangs im Wintersemester 2011/12 und seine Wirkung laut Professorin zunehmend spüren: ?Wenn Sie in Ausstellungen des Kunst- und Gewerbevereins Regensburg schauen oder des Berufsverbands Bildender Künstler Niederbayern / Oberpfalz sind viele der ausstellenden Kunstschaffenden unsere Studierenden oder Absolventinnen und Absolventen“, erz?hlt Eiglsperger.
Eine weitere Ausstellungsreihe schlie?lich ist der Kunstpreis, alle drei Jahre. Hier sitzen vor allem externe Jurorinnen, darunter auch bekannte Gr??en der Regensburger Galerie- und Museumsszene. Dort werden Absolventinnen und Absolventen von drei Jahren zusammengeholt; die Ausstellung wird von der Universit?t selbst und Dritten, etwa der Eberhard-Dirrigl-Stiftung, der Universit?tsstiftung ProArte oder dem Universit?tsverlag unterstützt. 2025 kommt der fünfte Kunstpreis.
Enorm wichtig für Studierende, Institut und dessen Mitglieder, erz?hlt Eiglsperger, sind auch die in Ausstellungskontext angesiedelten fachspezifischen Formen der Pr?sentation, Ausstellungskataloge etwa, oder Begleitprogramme für Ausstellungen. Zunehmend will man noch intensiver auf die universit?re ?ffentlichkeit zugehen. ?Wir starten gerade die Zusammenarbeit mit unseren Masterstudierenden und dem Green Office der Universit?t. Eine erste Führung zur Mittagszeit des 6. Juni durch die kunst.schau hat bereits zu sehr positiver Resonanz geführt.“
Menschen. Bilder.
Auch die Arbeit in und mit der ?ffentlichkeit ist ein Prozess. In ihrer viel beachteten Ausstellung ?Menschenbilder“ im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke München setzte die Künstlerin Eiglsperger sich nicht nur mit dem Aufeinandertreffen ihrer Werke mit den Abgüssen antiker Statuen auseinander, sondern auch damit, welche Wirkungen dies erzeugt. In einem breiten Begleitprogramm hat Eiglsperger Führungen für unterschiedliche Zielgruppen konzipiert, Seminare gehalten, Künstlerinnengespr?che organisiert und selbst durch die eigene Ausstellung geführt. ?Ich muss mich immer neu auf das Zielpublikum einstellen, das kann eine Schulklasse sein, oder eine Gruppe auf einem Betriebsausflug aber auch eine Personengruppe, die sich nicht kennt und zuf?llig bei einem ?ffentlichen Künstlergespr?ch zusammenkommt.“
Eiglsperger ist es ein Anliegen, ihre Botschaft zu vermitteln. In der Theorie, aber auch in der Praxis. Die Menschen wollen ausprobieren, aktiv mit bildnerischen Materialien und Werkzeugen umgehen und etwas schaffen, davon ist sie überzeugt. ?ber entsprechende Angebote an der Universit?t, für Studierende allgemein oder Mitarbeitende, denkt sie aktuell nach. Wie sie selbst zur Bildhauerei kam? ?Ich habe mir schon als Kind Dinge r?umlich vorgestellt und arbeitete gerne mit plastischen Materialien. Zu Hause durfte ich auch Dreck machen und hatte Platz, wo ich mich austoben konnte. Das unmittelbare Formen mit Ton oder Wachs hat für mich bis heute seinen Reiz nicht verloren."
twa.
Informationen/Kontakt
Wer einen der Studieng?nge am Institut für Bildende Kunst und ?sthetische Erziehung zum Wintersemester 2024/25 beginnen will, kann sich jederzeit bewerben. Mappenabgabe ist noch bis 28. Juni m?glich. (externer Link, ?ffnet neues Fenster)