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Worte zur Ausstellungser?ffnung Strafprozesse filmen

am 14.5.2025

Sehr geehrter Herr Pr?sident, liebe Mitglieder der Universit?tsleitung, liebes Auditorium!

Zun?chst danke ich der franz?sischen Diplomatie, vertreten durch den Consul général adjoint de France à Munich Monsieur Coulet und Madame Charléty der Botschaft Berlin – bon soir ! –, für den Ansto?, die Ausstellung ?Filmer les procès“ an unserer Universit?t zu zeigen. Merci beaucoup ! Dem Pr?sidenten danke ich dafür, insistiert zu haben, dass wir sie zeigen. Und die Ausstellung existierte nicht ohne die Initiative von Madame Dr. Sin Blima-Barru der Archives nationales, die extra zur Er?ffnung aus Paris gekommen ist. Je vous remercie d’être parmi nous ce soir ! Ich begrü?e ebenfalls sehr herzlich die Generalkonsulin des Staates Israel. Danke, dass Sie da sind! Mein ganz besonderer Dank gilt der Pr?sidentin der Deutsch-Franz?sischen Hochschule, meiner Kollegin Prof. Dr. Eva Martha Eckkrammer, für ihr Gru?wort zur Er?ffnung der Ausstellung ?Filmer les procès“ oder auch, auf Deutsch: ?Strafprozesse filmen – eine gesellschaftliche Herausforderung“. Vielen Dank!

Meine Damen und Herren, liebe Studierende: Was bedeutete Ihnen das Mitfilmen von Strafprozessen, bevor Sie den heutigen Hauptvortrag h?rten? Sie wussten es nicht genau? – Verst?ndlich.

Ich m?chte behaupten, dass – au?er Stefanie Bock, der ich für ihren klaren Vortrag danke, Anna Bernzen, die die Problematik genauestens untersucht hat, und Robert Uerpmann-Wittzack, der wei?, was Aufzeichnungen für die internationale Gerichtsbarkeit bedeuten – zum Filmen von Gerichtsverhandlungen noch vor einer Stunde hier im Foyer fast niemand eine echte Meinung hatte. Einige Jurist:innen vielleicht …. et encore. Wir starten also fast alle am selben Punkt, dem der Frage, dem des Staunens.

An diesem Punkt nun m?chte ich auf einige Aspekte der Ausstellung aufmerksam machen, sichtbare und unsichtbare:

Wir sehen in den Filmen die Verbrecher. Die Verbrechen sehen wir nicht.
Im Prozess zur chilenischen Diktatur sind nicht einmal die Angeklagten da. Wir sehen sie nicht, wir sehen leere B?nke. Auch die Opfer fehlen. Sie sind tats?chlich ?verschwunden“, desaparecidos. Die Hauptverhandlung holt allerdings das Verbrechen der Diktatur ans Tageslicht, das ?Verschwindenlassen“.

Den Kern der Filme bildet die Repr?sentation der rechtlichen Praxis in ihrer ganzen Kompliziertheit. Nicht sichtbar ist das Gegenstück zur Rechtsstaatlichkeit: Schauprozesse zur Erniedrigung der vor Gericht Gezerrten, Willkürakte, Rechtlosigkeit. Sie sind mitzudenken, denn erst dann versteht man die zweifache moralische Dimension der Filme.

Warum zweifach? Wer die Filme sieht, ist nicht im Gerichtssaal, sondern sieht Prozesse einer zweiten Ordnung, einer eigenen Anordnung, den medialen Zuschnitt. Die Besch?ftigung mit den F?llen hat also mehrere moralische und mediale Schichten.

Fabien Théofilakis hat uns letzten Mittwoch in der Vorlesung gezeigt, wie Adolf Eichmann sich als Bürokrat gezielt inszenierte, weil er wusste, dass die Filmbilder um die Welt gingen. Die stark auf ihn konzentrierte Kameraführung trug unabsichtlich zum Eindruck des ins Korrekte verbissenen Beamten bei. Er tr?gt einen ordentlichen Anzug, sortiert die Brillen, legt den Stift stets parallel zu den Akten ab, die Aktenstapel wachsen. Seine Aggressivit?t ist an der Oberfl?che nicht sichtbar. Hannah Arendt fiel teilweise auf diese Selbststilisierung herein, schrieb von Banalit?t, und nicht nur sie.

Die Ausstellung zeigt nicht wie zuvor die Prozesse zum Genozid 1994 in Ruanda, ehemals deutsche und belgische Kolonie. Sie hat dadurch einen st?rkeren deutsch-franz?sischen Akzent. Es fehlt aber der Ansto?, über die Verbindung zwischen Kolonialideologie, NS-Ideologie und autorit?re Regime nachzudenken.

Die Ausstellung will das Wissen um die Grundlagen unserer Demokratien bereichern. Der Krieg, dessen Ende letzte Woche zeremoniell begangen wurde, die Shoah und ungeheuren Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren miteinander verwoben. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网en Anklagepunkt der Strafprozesse will ich n?her beleuchten. Laut Wolfgang Form, Mitgründer und Leiter des Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse Marburg vor Ihnen, liebe Frau Bock, liegt das Verbrechen vor, wenn ein Mensch ?in der Tiefe seiner Pers?nlichkeit“ getroffen wird, ?jenem leiblich-seelischen Sein- und Wirkungsbereich“, der ?in komprimierter Betrachtung seinen Wert und seine Würde ausmacht“, wozu z?hlen: das Leben, die k?rperliche Integrit?t, Selbstbestimmtheit und Individualit?t. Ein Mensch darf nicht als ?Untermensch“ gelten und darf nicht als Objekt, nicht wie ein ?Apparat“ behandelt und dann entsorgt werden. Es liegt vor, wenn darüber hinaus durch ?Angriffe auf Einzelmenschen gleichzeitig der Menschheit allgemein zugerechnete Werte“ berührt werden und damit ?überindividuelle Wirkungen eintreten“ (2007, 42f.). Konkret geht es um T?tung, Versklavung, Deportation, Folter und Vergewaltigung, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbev?lkerung begangen werden. (vgl. Art. 7 des R?mischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs)

百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Verbrechen treten in den Filmen vor allem in ihren Auswirkungen zutage, mit den schrecklichsten Folgen zum Beispiel für die jüdischen Kinder von Izieu. Klaus Barbie befahl kalt ihre Ermordung.

Nicht Zeugin im Prozessfilm zu Barbie, 1942-1944 Gestapo-Chef in Lyon, ist Anne-Marie Bauer, aber ihr Schicksal ist ein Beispiel für das konkrete Verbrechen gegen die Menschlichkeit und soll eine besondere Verbindung zwischen Frankreich und der hiesigen Ausstellung aufzeigen.

Anne-Marie Bauer half als Widerstandsk?mpferin Flüchtlingen in Clermont-Ferrand, Partnerstadt von Regensburg, wurde mit 19 Jahren verhaftet und von Barbie im Keller des Gef?ngnisses Montluc verh?rt, mit seiner Pistole im Nacken. ?ber Fresnes und Compiègne kam sie nach Ravensbrück, dann nach Hol??ov, Holleischen, einem Au?enlager des Konzentrationslagers Flossenbürg im heutigen Tschechien. Sie überlebte unter schwersten Bedingungen, bei eisigen Temperaturen in der so genannten ?Strassenkolonne“. Anne-Marie Bauer hatte Anglistik studiert und über Emily Bront? die Abschlussarbeit geschrieben. Ihre H?nde waren von der Folter der Verh?re und der Zwangsarbeit so irreparabel verletzt, dass sie nach 1945 nicht schnell genug im concours de l’Agrégation schreiben konnte, ein h?heres Staatsexamen, so dass sie den Concours nicht bestand, auch nicht sp?ter, und ihr Berufsziel nie erreichte.

In Hol??ov war sie mit Catherine Roux befreundet. Zur tieferen Dimension des Verbrechens gegen die Menschlichkeit m?chte ich aus deren ?Triangle rouge“ zitieren:
?Wenn die Strassenkolonne abends zurück ins Lager kommt, schl?gt der Tag in die Nacht um. [Zu dieser Stunde] wiegt auf meinen Schultern das Erbe meines [Vorfahren vor vielen Jahrtausenden]; wieviel Angst muss er vor der Nacht gehabt haben […]. […] Jeden Tag ging er auf die Jagd, zum Fischen, auf die Suche. Er spielte mit seinem Freund am Tag. Er wandte sich seinem Freund zu. Er überlie? ihm die Sorge, für ihn zu denken, vorauszuschauen, zu wachen. Und als der Mensch sich so anvertraute, ganz naiv, da entfernte sich langsam der Bruder, der Freund, die unter allen erw?hlte Zuflucht, entfernte sich verr?terisch, entfernte sich leise auf Zehenspitzen. Der Mensch blieb allein, und er wusste, dass die Nacht drohte, dass die Nacht ihm entgegenrollte, dass sie an Boden gewann und er bald im Netz gefangen w?re wie ein Fisch. […] Er wusste, dass er dem ausgeliefert sein würde, […] das würgt und aussaugt bis zum Tod… Und er hatte Angst, wie ich jetzt Angst habe. […] Eine betr?chtliche Reihe von Jahrhunderten trennt uns, dich und mich. […] An diesen Abenden der Gefangenschaft, wenn ich zurückkehre, w?hrend das warme Licht im Fenster des Wachmanns brennt, ein Licht, dass mich zurückweist, mich, die Unerwünschte, zurückschickt in die Nacht, dann steht im Grunde meines Herzens – Widerschein des deinen – dein Elend, ?ta détresse“, deine gro?e, verzweifelte Frage, ?ton interrogation terrifiée.“ (1968 [1946], 211-213; ?bersetzung I. v. T.)

Roux spricht vom Verrat des Menschen am Mitmenschen, dem gr??ten Gegenteil von Menschlichkeit. Die Gerichtsurteile beziehen diesen immensen Verrat ein.

Das Betrachten der juristischen Aufarbeitung ist von deutscher Seite Teil der Verantwortung hinsichtlich der eigenen Geschichte, von franz?sischer Seite ebenfalls, bezüglich des Vichy-Regimes. 80 Jahre nach Kriegsende geht es indes mehr noch um die Anerkennung der Résistance, die Trauer um die Opfer, den Sieg über die NS-Diktatur und die Durchsetzung der Menschenrechte. Der Einsatz für die universellen Menschenrechte bildet seit deren Déclaration 1789 eine feste S?ule des franz?sischen Selbstverst?ndnisses, ein wichtiger Grund dafür, dass eine besondere Verpflichtung für sie besteht, auch im ganz Praktischen. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网er sowohl universelle wie praktische Ansatz erm?glicht das Mitfilmen von Strafprozessen und führte zu einer Ausstellung, die staunen l?sst. Dafür danken wir, und daher noch einmal am Ende: Merci beaucoup!

Für die Ausstellungstexte zum Mehrwert von Filmen danke ich ausdrücklich meiner Kollegin Anna Bernzen. Für die juristische Beratung rund um die Ausstellung danke ich ihr und meinem Kollegen Robert Uerpmann-Wittzack, und für die unermüdliche praktische Hilfe m?chte ich Lasse Schaupp und Judith Lanzl von Herzen danken.


  • Wolfgang Form: ?Justizpolitische Aspekte west-alliierter Kriegsverbrecherprozesse 1942-1950“, in: Ludwig Eiber/Robert Sigel: Dachauer Prozesse. NS-Verbrechen vor amerikanischen Milit?rgerichten in Dachau 1945-48. Verfahren, Ergebnisse, Nachwirkungen. (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 7, hrsg. im Auftrag der Stadt Dachau und des Jugendg?stehauses Dachau von Bernhard Scho?ig). G?ttingen: Wallstein 2007, 41-66.
  • Catherine Roux: Triangle Rouge. France, Allemagne, Tchécoslovaquie. Erstauflage 1946. Zweitauflage 1950. Dritte Auflage: Paris: ?ditions France-Empire, 1968.

  1. Fakult?t für Rechtswissenschaft

Strafprozesse filmen

Ausstellung im Sommersemester 2025

Bild des Audimax-Foyers